Bericht

„Medienwelten nicht gegeneinander ausspielen“

09.12.2009

5. Nationaler Round Table Leseförderung in Mainz



Beim diesjährigen Round Table Leseförderung der Stiftung Lesen zum Thema „Leseförderung in der digitalen Welt – Spiel- und Lernmodule zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ stand die praktische und kritische Auseinandersetzung mit Computerspielen und digitalen Lernplattformen im Mittelpunkt der Diskussion. Ende November 2009 trafen sich rund 40 Experten aus Forschung, Praxis und Institutionen der Lehrerfortbildung sowie Vertreter der Kultusministerien und Betreiber von Lernplattformen, um sich über die aktuellen Medieninteressen heutiger Kinder und Jugendlicher zu informieren. Auf der zweitägigen Fachtagung, die auch in diesem Jahr vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wurde, stellten die Fachexperten die Frage nach der Bedeutung der multimedialen Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen im Hinblick auf Maßnahmen der Leseförderung. Dabei diskutierten sie u.a., welchen Anforderungen sich die Leseförderung in diesem Zusammenhang stellen muss.
Neben den Fachvorträgen und der Diskussion im Plenum konnten die Teilnehmer erstmals selbst eine Vielzahl an bekannten Computerspielen und Lernplattformen ausprobieren, um sich einen direkten Eindruck von der digitalen Spielewelt zu verschaffen.

Computerspielmarkt boomt
Die rasante Entwicklung der ausgesprochen dynamischen Computerbranche ist nicht zu übersehen und stellt die Leseförderung vor neue Herausforderungen. Experten prognostizieren auch für die kommenden Jahre ein starkes Wachstum des Unterhaltungssoftwaremarktes, berichtete Olaf Wolters, Geschäftsführer des BIU, Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware e.V., der als Vertreter der Computerspielindustrie über die Chancen und Gefahren von digitalen Spielen referierte. Diese seien aus den Lebenswelten heutiger Kinder und Jugendlicher kaum mehr wegzudenken. Parallel wachse nicht nur bei den Eltern die Sorge, dass der häufige Konsum von Computerspielen sich negativ auswirken könnte. Wolters sieht aus diesem Grund die Eltern in der Pflicht, den Medienkonsum ihrer Kinder aufmerksam zu beobachten und sich vor allem selbst mit den Inhalten auseinanderzusetzen. Interaktive Anwendungen seien derart attraktiv, so Wolters, dass Kinder und Jugendliche gerne einmal die Zeit vergessen. Deshalb plädierte er für die Vereinbarung von klaren „Spielregeln“, von festen „Spielzeitbudgets“ und vor allem für die Nutzung technischer Jugendschutzsysteme.

Sich öffnen für elektronische Medien
„Sind Computerspiele für die Leseförderung ein Nutzen oder Schaden“, fragte Heinrich Kreibich, Geschäftsführer der Stiftung Lesen, der eine kritische und kontroverse Auseinandersetzung mit den digitalen Welten forderte, auch um ihr Potential in Bezug auf zeitgemäße Maßnahmen zur Leseförderung auszuloten. Kreibich betonte, dass die Stiftung Lesen für einen weiten Medienbegriff stehe und neben dem Buch selbstverständlich auch die elektronischen Medien einschließe, wie man bei zahlreichen Projekten der Stiftung Lesen sehen könne. Kreibich betonte, dass Lesen und Lesekompetenz umgekehrt eine zentrale Voraussetzung für den Umgang mit digitalen Medien seien.

Veränderte Informations- und Kommunikationsverhältnisse
Dass digitale Medien nicht nur unter dem Aspekt des Zeitvertreibs, sondern vielmehr in einer multimedial geprägten Gesellschaft die ganze Persönlichkeitsentwicklung eines jungen Menschen betreffen, machte Corinna Brüntink, Referatsleiterin im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), in ihrer Rede deutlich. Sie verwies dabei auf den Bericht der Expertenkommission des BMBF zur Medienbildung „Kompetenzen in einer digital geprägten Kultur“, in dem zwei zentrale Fragestellungen formuliert werden: Nach der Bedeutung von Medienkompetenzen, die Jugendliche bei der Entwicklung ihrer individuell geprägten Persönlichkeit benötigen, und nach den Medienkompetenzen, die junge Menschen heutzutage etwa beim Einstieg ins Berufsleben als unverzichtbares Handwerkszeug bräuchten. Brüntink sprach sich dafür aus, den Jugendlichen, wie im Expertenbericht formuliert, durch einen handelnden und experimentellen Umgang mit digitalen Medien die Kompetenzen zu vermitteln, die sie für die eigene Persönlichkeitsentwicklung benötigen, vor allem aber dafür, sich auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten. In der Vermittlung von Medienkompetenzen für möglichst alle Jugendlichen sehe sie einen zentralen staatlichen Bildungsauftrag.

Neue Verknüpfungsmöglichkeiten ausloten
Wie wichtig die Verknüpfung von verschiedenen Medienwelten und das Zusammenspiel unterschiedlicher Institutionen ist, betonte Prof. Dr. Stefan Aufenanger, Wissenschaftlicher Berater der Stiftung Lesen. Es gebe zahlreiche Anknüpfungspunkte zwischen beiden Medienwelten, zwischen Buch und Computer, die es zu entdecken gilt. „Hier gibt es sicher noch zahlreiche Spielräume, die bisher nicht ausreichend genutzt werden“, sagte Aufenanger und berichtete von Beispielen aus den USA, wo zwei Welten, in diesem Fall Computer und Sport, erfolgreich miteinander verknüpft werden. Ähnliche Ideen wie etwa die Verbindung von Computer und Lesen wünsche er sich auch hierzulande, um die Attraktivität der Leseförderung zu stärken.
Als Resümee des Round Table fasste er zusammen, dass es innerhalb der Leseförderung weder Sinn mache, sich strikt von der digitalen Welt abzugrenzen noch sich umgekehrt anzubiedern. Die  Aufgabe für die Zukunft sehe er darin, so Aufenanger, noch mehr als bislang nach Möglichkeiten zu suchen, um die Attraktivität beider Medienwelten miteinander zu verbinden.

Voraussichtlich im Frühjahr 2010 werden die Ergebnisse des 5. Round Table Leseförderung innerhalb der Schriftenreihe der Stiftung Lesen als Publikation erscheinen.

Kontakt:
Dr. Simone C. Ehmig
Leiterin Institut für Lese- und Medienforschung
Stiftung Lesen
Römerwall 40
55131 Mainz
Tel.: (06131) 28890-81
E-Mail: simone.ehmig@stiftunglesen.de

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