Bericht

Alles andere als verstaubt

29.03.2005

Wie öffentliche Bibliotheken Kindern die Leseohren aufklappen


Bei Bibliothekaren dreht sich alles ums Buch – denkt man. Tatsächlich fand man aber beim Deutschen Bibliothekartag, der vom 15.- bis 18. März 2005 in der Düsseldorfer Universität stattfand, jede Menge Stände, die Software anboten. Es gab Vorträge über das EU-Recht, Digitalisierungsprojekte in Ungarn und vieles andere. Und auch Leseförderung stand auf dem Programm, sind doch Bibliothekarinnen und Bibliothekare wichtige Schlüsselfiguren, die die Leseförderung bei Kindern und Jugendlichen vorantreiben. Im Rahmen der Vortragsreihe „Leseförderung auf vielen Wegen“ berichteten Bibliothekarinnen  von ihren Erfahrungen aus der Praxis.

Mit der „Ohrmassage“ fängt alles an
Karin Rösler von der Stadtbücherei Stuttgart stellte das Stuttgarter Vorlese-Projekt „Leseohren aufgeklappt“ vor und forderte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erst einmal auf: „Massieren Sie ihre Ohren größer, damit Sie mir besser zuhören können.“ Die Referentin und ist überzeugt, der Ohrmassagetrick hilft nicht nur bei Erwachsenen. Rösler machte deutlich: „Leseförderung wird von vielen Berufsgruppen unterschiedlich interpretiert, wir wollen Leseförderung im Sinne von Sprachförderung verstehen.“ Dazu gehöre vor allem die Kommunikation, dazu gehöre es, die Texte lebendig zu machen und gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen ein „inneres Bild“ zu entwickeln.

Leseanfänger hereinspaziert!
Die Initiatoren des Projektes haben es sich zur Aufgabe gemacht, auch Kinder zu erreichen, die aus Familien kommen, in denen der Umgang mit Literatur nicht zum Alltag gehört. Durch die Kooperation mit Kindergärten, Schulen und durch Elternabende könnten vielmehr auch die lesefernen Kinder und deren Familien angesprochen werden. Durch Bücher- und Medienkisten für Schule und Kindergarten, Vorleseangebote vor Ort, Leseempfehlungslisten und Lesepartys sollen erste Anreize zum Lesen gegeben werden.

Die Messlatte tief hängen
Anders als in manchem anderen „Vorlesestunden“ versucht das Leseohren- Projekt unter dem Motto „Eine Lesestunde nur für dich“ dem einzelnem Kind, seinem Tempo, seinen Nachfragen gerecht zu werden. Der Personalschlüssel ist großzügig: So heißt der Schlüssel „Vier Vorlesepaten für 16 Kinder oder so viele Kinder, wie auf einem Schoß passen oder auch acht Ohren“. Die Vorleserinnen und Vorleser sollen dabei kinästhetische Methoden einsetzen wie die Ohrmassage oder das Händeschütteln und vor allem sollen sie den Kindern ein Erfolgserlebnis vermitteln. Sie sollen das Gefühl haben, „ich kann zuhören, ich verstehe das“, statt den roten Faden zu verlieren. Deshalb sei ein niederschwelliges Angebot wichtig, so Rösler. Bilderbücher seien gute Einstiegsbücher, „sie sind ein Gesprächsanlass, die literarische Bildung kommt später“.

Besser gemeinsam als einsam
Das von der Breuninger-Stiftung geförderte Projekt „Leseohren aufgeklappt“ wird in der Stadtbibliothek Stuttgart koordiniert und kooperiert sowohl mit Schulen und Kindergärten als auch mit dem Jugendamt und dem Literaturhaus Stuttgart. Dies habe neben der Sicherung des Zulaufs und dem Erreichen einer
breiten Zielgruppe den Vorteil, dass Erzieherinnen den Bibliothekaren pädagogische Tipps geben können und umgekehrt die Bibliothekare den Erzieherinnen Literaturempfehlungen. An Vorlesepaten mangele es nie, so Rösler, „man glaubt gar nicht, wie viele Menschen eine sinnvolle Beschäftigung suchen oder einfach bürgerschaftlich engagiert sind“.  Innerhalb von nur zehn Tagen hätten sich siebzig Interessierte auf einen Zeitungsartikel gemeldet. Rösler versteht die Ehrenamtlichkeit als eine wertvolle Unterstützung und Bereicherung, welche die bibliothekarische Arbeit jedoch nicht ersetze.

Eugen Roth lässt grüßen
„Was man nicht liest zur rechten Zeit, das liest man nicht in Ewigkeit ...“, sagte einst Eugen Roth. Das machte sich der Börsenverein des Deutschen Buchhandels schon 1960 zum Motto seines ersten und nun allseits bekannten „Vorlesewettbewerb“. Auch diese Aktion eignet sich hervorragend für die Kooperation mit öffentlichen Bibliotheken, wie Claudia Nobis von der Gelsenkirchener Stadtbibliothek demonstrierte. Zwar sei der Wettbewerb umstritten und gälte als verstaubt, er käme aber „trotz seines Wettbewerbscharakters“ sowohl bei Schülerinnen und Schülern als auch bei Schulen jeder Art gut an.

Auf den Einwand einer Teilnehmerin, ihr fehlten die methodische Kreativität und der Dialog bei diesem Wettbewerb entgegnete Nobis: „Diesen Part übernehmen oft die Lehrer. Viele Lehrer beschäftigen sich im Unterricht mit Literatur, sprechen über die Texte.“ Es gäbe jedoch auch Schulen, die schlicht diejenigen   Schülerinnen und Schüler zum Wettbewerb schickten, welche ohnehin schon vorlesen könnten.

Jugendlicher Genuss ist Muss
Dr. Susanne Krüger, Professorin und Moderatorin der Vorlesungsreihe „Leseförderung auf vielen Wegen“ schnitt mit „Freestyle“, der Benrather Jugendmediothek der Stadtbüchereien Düsseldorf, den völlig neuen Themenaspekt an, wie Leseförderung bei Jugendlichen aussehen kann. Krüger sagte „Jugendliche gelten als schwierige Zielgruppe“ und Martina Leschner von den Stadtbüchereien Düsseldorf ergänzte: „Jugendliche werden nicht als eigene Zielgruppe wahrgenommen“, oft seien die Kinder- und Jugendabteilungen rein kinderorientiert.

Das neue Medienangebot der Benrather Jugendmediothek, das sich laut Leschner inhaltlich völlig an den Wünschen der Zielgruppe orientiert, versucht Jugendliche an die Bibliothek zu binden. Hierfür wurde ein eigener Bereich mit trendigem Mobiliar eingerichtet. Schulmedien wird man hier nicht finden, diese sind im übrigen Bibliotheksangebot ausreichend vorhanden. „Freestyle“ -eine reine Freizeitbibliothek ohne Bildungsauftrag ist aus dem gemeinsamen Modellprojekt "Pisa ist weit – die Stadtbibliothek ist hier" der Stadtbüchereien Düsseldorf, der Stadtbücherei Mönchengladbach und der ekz.bibliotheksservice GmbH hervorgegangen. Die Mediothek verfügt über einen Bestand von insgesamt 2000 Titeln mit den Prioritäten größter Aktualität und hoher Beliebtheitsgrad. Sie bietet eine multimediale Medienausstattung, mit 55 Prozent Büchern und 45 Prozent multimedialen Angeboten.

In der Umwelt Klänge sammeln
Manche Leseförderungsprojekte setzen an rein auditiven Medien an, denn die Entwicklung des Sprachgefühls geht auch über das Ohr und somit setzen manche Leseförderungsprojekte an rein auditiven Medien an. „Wir haben vier Wochen lang überlegt, welche Klänge die Erde hat, und akustische Dinge aus der Umwelt gesammelt“, erzählt Susanne Brandt von der Gemeindebücherei Westoverledingen. Sie stellte beim Deutschen Biliothekartag die „Hörclubs“ als Kooperationsmodell von Bibliothek und Grundschule vor, das von der „Stiftung Zuhören“ unterstützt wird. Brandt hob die ganzheitliche Vorgehensweise der Hörclubs hervor. Durch den Umgang mit Hörmedien würden die Fähigkeit des Zuhörens und die Konzentrationsfähigkeit gestärkt. Welt und Umwelt werde durch die Klangwelten erfahrbar gemacht. Zudem berge das Thema „Zuhören“ noch Unteraspekte wie den künstlerischen Ausdruck und das soziale Miteinander.

Ein Koffer voller Hörabenteuer
„Die Grundschulkinder kommen einmal in der Woche in die Gemeindebücherei Westoverledingen, um hier an den Projekten den Hörclubs teilzunehmen“, so Brandt. So hätten die Kinder sich eine Hörspiel-CD mit einer Geschichte vom Detektiv Herbert Dunkelstein angehört, die das Gehör für Straßen- und Naturgeräusche sensibilisiert. Anschließend haben die Kinder Klangpartituren im Wald und auf der Straße aufgenommen und die Geschichte selbst weiterentwickelt. Wer einen Hörclub eröffnen will, kann für 300 Euro ein Koffer mit Tonträgern und Begleitmaterialen für Spiele bei der Stiftung Zuhören bestellen.

Die Vielfalt der Ansätze zeigt, wie viele Zugänge es zum Thema Leseförderung gibt und mit welcher Lebendigkeit und mit welch hohem Engagement sich öffentliche Bibliotheken den Kindern und Jugendlichen widmen. Öffentliche Bibliotheken sind für die Leseförderung auch deshalb ein gute Orte, weil sie jenseits von Schule und Kindergarten agieren. So erhalten die Leseförderungsaktivitäten eine stärkeren Freizeitcharakter und sind dadurch für die Kinder oft attraktiver.     

Internet: http://www.bibliothekartag.de/

Autorin: Katja Haug


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