interview

Eltern müssen sich aktiv einbringen

20.04.2009

Interview mit dem Präsidenten des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte


Dr. Wolfram Hartmann, Präsident des bvkj. e. V.
Dr. Wolfram Hartmann, Präsident des bvkj. e. V.
© bvkj. e. V.
Medien aller Art sind heutzutage fester Bestandteil im Familienalltag mit Kindern. Das riesige Angebot macht es Eltern nicht gerade leicht, den Überblick zu behalten und zu entscheiden, was für ihr Kind gut ist, was es fördert, was vielleicht zu viel ist. Als Orientierungshilfe hat die Stiftung Lesen zusammen mit dem Berliner Unternehmen privileg Massivhaus AG die Broschüre "Medientipps fürs Kinderzimmer" veröffentlicht. Diese wird bundesweit in Kinderarztpraxen verteilt. Für Eltern mit Kindern bis zum Alter von zehn Jahren enthält der Ratgeber viele Anregungen zum Thema Medienerziehung. Warum der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte diese Aktion unterstützt, erklärt Dr. Wolfram Hartmann, der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (bvkj. e. V.) im Interview mit Sabine Bonewitz (Stiftung Lesen).

Stiftung Lesen:
Herr Doktor Hartmann, der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte engagiert sich schon lange im Bereich der Leseförderung; zuletzt haben Sie die bundesweite Lesestart-Initiative unterstützt und nun sind Sie Partner im Projekt "Medientipps fürs Kinderzimmer". Warum machen Sie sich gerade in diesem Feld stark?

Dr. Hartmann:
Wir Kinder- und Jugendärzte sehen in unseren Praxen in zunehmendem Maße Kinder aus Familien, denen eine Grundförderung fehlt. Das sind Kinder, die teilweise sozial verwahrlost sind, das sind Kinder, deren Eltern keine Erziehungskompetenz haben. Diese Kinder werden nicht entsprechend ihrer Möglichkeiten, insbesondere im Vorschulalter, gefördert. Folgen dieser fehlenden Förderung sehen wir dann im Schulalter, teilweise in Form von psychosomatischen Erkrankungen, teilweise in Form von Aggressivität oder in Form von Lernstörungen - das sind die so genannten neuen Morbiditäten, mit denen wir uns in zunehmendem Maße in unseren Praxen auseinandersetzen müssen.

Stiftung Lesen:
Im Alltag von Familien spielen Medien eine große Rolle. Ohne Frage ist bei kleinen Kindern das Bilderbuch das geeignete Medium, die Welt zu erklären. Aber schnell kommen die anderen Medien dazu, die heute zum Alltag gehören. Wie wichtig ist es da, Hilfestellung für die Familien zu leisten? Wann sollte die mediale Erziehung der Eltern einsetzen? Sollten sie sich dem Thema eher vorsichtig nähern oder offensiv damit umgehen?

Dr. Hartmann:
Den Punkt der Medienerziehung haben wir in unser Vorsorgeprogramm eingebaut, das heißt, unser Verband hat neben dem gesetzlichen Vorsorgeprogramm einen Katalog entwickelt, der über Fragebögen auch Medienkompetenz und Medienverhalten abfragt. Da stellen wir mit Erschrecken fest, dass bereits Kinder unter drei Jahren bis zu drei Stunden täglich vor dem Fernsehapparat sitzen, bei Kindern im Alter von sechs bis zehn Jahren kommt dann bereits der Computer dazu. Manche Kinder sitzen also fast vier bis fünf Stunden täglich außerhalb von Kindergarten oder Schule am Computer oder am Fernseher. In der Zeit bewegen sie sich nicht, haben teilweise dann auch keine sozialen Kontakte und sind auf dem Weg, dort im Grunde sozial zu verwahrlosen.

Stiftung Lesen:
Wahrscheinlich sitzen viele dieser Kinder oft alleine vor diesen Medien - ohne Eltern, ohne dass jemand mitbekommt, womit sie sich beschäftigen. Sollten Eltern, um das zu verhindern, da gegensteuern und aktiv in die Mediennutzung ihrer Kinder eingreifen?

Dr. Hartmann:
Eltern müssen sich auf jeden Fall aktiv einbringen - je jünger die Kinder sind, desto mehr natürlich. Entscheidend ist, dass die Eltern mit den Kindern besprechen, was die Kinder sehen dürfen und dann nach Möglichkeit diese Programme auch mit den Kindern gemeinsam sehen, um auf eventuelle Fragen antworten zu können und auch erkennen zu können, ob Kinder mit bestimmten Medien überfordert sind.

Stiftung Lesen:
Was halten Sie davon, dass Medien als erzieherisches Mittel zur Belohnung oder als Strafmaßnahme eingesetzt werden? Ich denke, es kommt öfter vor, dass Kinder Fernsehverbot, Computerspielverbot oder vielleicht auch "Vorleseentzug" erhalten. Sind das geeignete Mittel?

Dr. Hartmann:
Naja, Vorleseentzug würde ich nicht sagen, denn beim Vorlesen kann man sehr gut mit den Kindern kommunizieren. Aber, dass Kinder im Schulalter ein Medienverbot bekommen, ist heute Alltag. Insbesondere, wenn ihre schulischen Leistungen nachlassen oder wenn es in der Familie zu Konflikten bezüglich des Erziehungsverhaltens kommt. Dann wird das häufig als Strafmöglichkeit eingesetzt. Da Eltern heutzutage wenig Möglichkeiten haben, entsprechend auf ihre Kinder einzuwirken, ist das aus medizinischer Sicht durchaus akzeptabel, dass man ab und an für eine Woche ein Fernsehverbot oder Computerverbot ausspricht.

Stiftung Lesen:
Das ist also schon ein geeignetes Mittel, das gelegentlich zum Einsatz kommen kann, wenn Eltern auf eine nachhaltige Veränderung im Verhalten ihres Kindes hoffen?

Dr. Hartmann:
Ja, ganz wichtig ist hier aber, dass ein Zusammenhang zum Medienkonsum besteht. Wenn beispielsweise die schulische Leistungen eines Kindes nachlassen, weil es zuviel Zeit vor den Medien verbringt, dann gibt es da einen Zusammenhang, den auch die Kinder nachvollziehen können und dann verstehen sie auch, warum man ein entsprechendes Verbot ausspricht. Wenn Kinder etwas gemacht haben, das mit ihrem Medienkonsum nichts zu tun hat, z.B. zu spät nach Hause kommen oder etwas kaputt gemacht haben, dann bringt natürlich das Medienverbot gar nichts. Hier sollten Eltern, wie bei allen Dingen, das Gespräch suchen und gemeinsam mit ihrem Kind auf Ursachensuche gehen.

Stiftung Lesen:
Eine letzte Frage: Gibt es Medien, die Ihrer Meinung nach im Kinderzimmer erlaubt sind? Kann da der eigene Fernseher, der eigene Computer stehen? Oder sind das Medien, die besser im Wohnzimmer untergebracht sind, als Gemeinschaftsmedien, auf die jeder zugreifen kann?

Dr. Hartmann:
Im Grundschulalter würde ich grundsätzlich sagen, dass kein Fernseher im Zimmer der Kinder etwas zu suchen hat. Das gilt auch für den eigenen Computer - zumal, wenn dieser mit einem Internetanschluss ausgestattet ist. Die Kinder sollen sich in der sozialen Gemeinschaft eingliedern, die Familie soll miteinander kommunizieren. Bei Jugendlichen über 14 Jahren sieht die Sache anders aus. Da muss aber sichergestellt sein, dass die Jugendlichen nicht bis nachts um zwei Uhr fernsehen, wenn sie am nächsten Tag Schule haben. Es muss klar sein, dass sie verantwortungsbewusst mit diesem Medium umgehen. Das müssen die Eltern regelmäßig kontrollieren und dann kann man den Jugendlichen auch die Verantwortung dafür überlassen.

Stiftung Lesen:
Herr Doktor Hartmann, vielen Dank für das Gespräch.

Kontakt:
Sabine Bonewitz
Stiftung Lesen
Römerwall 40
55131 Mainz
Tel. 06131 / 2 88 90-39
E-Mail: Sabine.Bonewitz@StiftungLesen.de


Redaktionskontakt: schuster@dipf.de