Bericht

Niemanden zurücklassen – Lesen macht stark!

06.03.2008

Das Projekt zur Förderung der Lesekompetenz in Schleswig-Holstein


Titelblatt der Lesemappe
Titelblatt der Lesemappe
Lesekompetenz ist eine Basiskompetenz, die im vorschulischen, schulischen und außerschulischen Bereich erworben wird. Hier wird lautes und leises Lesen praktiziert, werden Lesetechnik und Leseverstehen angebahnt und vertieft. Im schulischen Bereich sind Texte und Textverstehen in vielen Fächern nach wie vor die wichtigste Arbeitsgrundlage, im außerschulischen Bereich Basis für lebenslanges Lernen und Partizipation in der demokratischen Gesellschaft und der Schlüssel zur Ausbildungsfähigkeit. Lesekompetenzerwerb ist daher nicht nur eine Aufgabe des Deutschunterrichts, sondern aller Fächer. In den PISA-Studien wurde festgestellt, dass fast ein Viertel der Schülerinnen und Schüler in Schleswig-Holstein nicht über ausreichende Basisfertigkeiten im Lesen verfügt. Insbesondere an den Hauptschulen weisen die meisten Schülerinnen und Schüler eine Lesekompetenz auf, die nicht über die Stufe I hinausgeht.

Förderung von leseschwachen Schülerinnen und Schülern an Hauptschulen
Das Projekt „Niemanden zurücklassen – Lesen macht stark“ hat sich zum Ziel gesetzt, das Potential der leseschwachen Schülerinnen und Schüler zu entdecken und zu entwickeln und somit eine Reduzierung der Gruppe der Leseschwachen zu erreichen. 2006 startete „Niemanden zurücklassen“ mit 50 Hauptschulen und knapp 10.000 Schülerinnen und Schülern aus ganz Schleswig-Holstein. Mit Schuljahresbeginn 2007/2008 sind 43 neue Schulen hinzugekommen. Initiiert wurde das Projekt vom Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein. Die weiteren Träger des Projektes sind das Ministerium für Bildung und Frauen des Landes Schleswig-Holstein, das Ministerium für Justiz, Arbeit und Europa des Landes Schleswig Holstein, das Jugendaufbauwerk Schleswig-Holstein. Das Projektziel wird u. a. durch eine systematische Erhöhung der Lesehäufigkeit und durch den gezielten Einsatz von Lesestrategien für eine Verbesserung des Textverständnisses angebahnt, nicht zuletzt indem an ein individuelles, altersgemäßes und auch geschlechtsspezifisches Leseinteresse angeknüpft wird.
„Die vielfältigen positiven Rückmeldungen aus den Schulen bestätigen, dass wir mit unserer Projektidee richtig gelegen haben. Wir erleben hoch motivierte Schülerinnen und Schüler und ein großes Engagement der Lehrkräfte", so Dr. Thomas Riecke-Baulecke, Projektleiter und Direktor des Instituts für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein nach der Präsentation erster Evaluationsergebnisse.

Unterstützung durch externe Beraterinnen und Berater
Um das Projektziel zu erreichen, wirken mehrere Bausteine zusammen: Schulleiterinnen und Schulleiter erhalten Unterstützung durch externe Beraterinnen und Berater, die über Kenntnisse und Erfahrungen im Projektmanagement verfügen und die die Schulleiterinnen und Schulleiter im Sinne eines prozessbegleitenden Coachings unterstützen. So werden Aktionspläne zur Umsetzung individueller Fördermaßnahmen, zur Weiterentwicklung des Unterrichts sowie zur Implementierung außerunterrichtlicher Leseaktivitäten gemeinsam mit der Schulgemeinschaft verfasst, umgesetzt und überprüft. Weitere Bausteine des umfassenden Konzeptes sind Unterrichtswochenstunden für Fördermaßnahmen, Lesekompetenztests und Parallelarbeiten sowie Qualitätsforen für Lehrkräfte.

Lesemappen zur differenzierten und individualisierten Leseförderung
Als zentrales Instrument der differenzierten und individualisierten Leseförderung wirkt der Einsatz von Lesemappen (Portfolios), die alle teilnehmenden Schülerinnen und Schüler im Rahmen von feierlichen Übergaben als Projektauftakt an ihren Schulen erhielten. Hier können Lesetexte und Lernpläne gesammelt, Leseaktivitäten und Erfolge dokumentiert werden. Für die Hand der Lehrkraft wurde ein themenorientierter Materialordner mit didaktisierten kopierbaren Lesetexten zusammengestellt. Aus dem Textangebot, das in erster Linie unter dem Aspekt der Lesemotivation zusammengestellt wurde, wählen die Schülerinnen und Schüler ihre Lesetexte frei aus. Sie können auch eigene Lesetexte mitbringen oder Hilfen bei der Suche nach Lesestoff einfordern. Eine gezielte Verbesserung des Textverständnisses wird durch den bewussten Umgang mit Lesestrategien angebahnt. Diese werden systematisch erworben und individuell angewandt, auch persönlichen Vorlieben entsprechend.

Lesestrategien
Wenn ein kompetenter Leser oder eine Leserin mit einem Sachtext ein Kurzreferat vorbereitet, wendet er oder sie möglicherweise eine Auswahl der folgenden Lesestrategien an:

Vor dem Lesen: Beim Lesen: Nach dem Lesen:
  • Überblick verschaffen
  • Fragen an den Text formulieren
  • Vorwissen zum Thema aktivieren
  • Text in Abschnitte gliedern
  • Schlüsselbegriffe markieren
  • Abbildungen nutzen
  • Randnotizen machen
  • Zusammenfassung schreiben
  • Text in Grafik übersetzen
  • offene Fragen formulieren

Lesepatinnen und Lesepaten unterstützen auf schülergemäße Art

Lesepate in der Schulbibliothek
Lesepate in der Schulbibliothek
In Kooperation mit den Stadtbüchereien entwickelt sich vielerorts ein Lesepatensystem. Die Aktivitäten der Lesepaten sind sehr vielseitig. Sie begleiten den unerfahrenen Büchereibesucher oder die Büchereibesucherin und helfen bei der Textsuche, geben Tipps und ermutigen zum Durchhalten. Einige Lesepaten und Lesepatinnen stehen auch mit ihren eigenen Talenten zur Verfügung. Sie motivieren, indem sie mitwirken, im Werkraum der Schule eine Bauanleitung in ein Werkstück zu übersetzen oder am Mikrofon den Inhalt eines Geschichtstextes als Rap wiederzugeben. Jede förderliche Idee ist willkommen, wenn sie zur Entwicklung der Lesekompetenz auf eine schülergemäße Art beiträgt.

Individuelle Textbegegnung durch leises Lesen
Im Unterricht ebenso wie in der Zusammenarbeit mit dem Lesepaten oder der Lesepatin wird das leise Lesen betont. Leises Lesen ermöglicht im Prozess der Texterschließung ein individuelles Lesetempo und die uneingeschränkte Konzentration auf das Leseverstehen. Es ist daher für eine individuelle Textbegegnung sehr geeignet: Das Lesetempo orientiert sich am eigenen Texterschließungsprozess, Lesestrategien wie z.B. das Zurückgehen im Text, Retardierung, Imagination oder Pausen sind möglich. Eine ritualisierte Anschlusskommunikation eröffnet dann weitere Aspekte des Leseverstehens, auch die Bereitstellung und Nutzung unterschiedlicher, auch weiterer Lesestrategien unterstützt die umfassende Erschließung des Textes.

Lesebiografie mit Höhen und Tiefen wird thematisiert
Doch nicht nur das Lesen selbst, sondern auch das Nachdenken über das Lesen trägt zur Weiterentwicklung der Lesekompetenz bei. Die eigene Lesebiografie mit ihren Höhen und Tiefen wird ebenso thematisiert, wie die im Leseprozess auftretenden Lesebremsen, das sind Schwierigkeiten, die zum Ausstieg führen können und die aufgearbeitet werden. Das Schuljahr 2007/2008 wird daher mit einem Fest enden, das Schülerinnen und Schülern einen Rahmen bietet, ihre Gedanken und Gefühle zum Thema „Lesen macht stark“ als Rap zu formulieren und zu präsentieren.

Wissenschaftliche Begleituntersuchung
Die Wirkungen der im Projekt „Niemanden zurücklassen – Lesen macht stark“ eingesetzten Maßnahmen werden unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Olaf Köller vom Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen aus Berlin und Prof. Jens Möller von der Universität Kiel evaluiert. So wurden Schülerinnen und Schüler aus mehr als 100 Klassen, Lehrkräfte, Schulleitungen, Schulräte und Schulrätinnen sowie Beraterinnen und Berater zur Qualität des eingesetzten Lesefördermaterials befragt. Die Auswertungen belegen die hohe Akzeptanz des Projektes in den Schulen. Insbesondere die eingesetzten Materialien zur Leseförderung werden von allen Beteiligten positiv eingeschätzt und als große Hilfe für den Unterricht wahrgenommen. Inwieweit das Projekt zur erhofften Steigerung der Leseleistungen bei den Schülerinnen und Schülern führen wird, ist Gegenstand weiterer Untersuchungen, die in den nächsten Jahren durchgeführt werden.

Autorin:
Christiane Frauen
Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein


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