Bericht

Schwereloses & Abgrundtiefes

31.10.2006

„Ihre Illustrationen brauchen keine Schwerkraft“, schwärmte der Laudator ...





Preisverleihung zum Deutschen Jugendliteraturpreis 2006, Copyright Jochen Günther
Preisverleihung zum Deutschen Jugendliteraturpreis 2006, Copyright Jochen Günther
„Die nominierten und prämierten Bücher sind bester Lesestoff“, so Bundesministerin Ursula von der Leyen, die am 6. Oktober 2006 den Deutschen Jugendliteraturpreis an die glücklichen Gewinner vergab. Bibliotheken, Buchhandlungen und Schulen werden nun bundesweit Lese-Aktionen mit diesen nominierten Büchern veranstalten. Die nominierten und prämierten Bücher bieten Geschichten für jedes Lesealter und decken viele Interessensgebiete von Kindern ab. „Bleibt zu wünschen, dass diese Bücher zu den Kindern und Jugendlichen, in die Familien und Schulen gelangen und dass sie viele junge Leserinnen und Leser in ihren Bann ziehen werden“, so die Ministerin. Über 1.000 Gäste aus dem In- und Ausland fanden sich im Saal Harmonie des Congress Centers auf der Frankfurter Buchmesse ein. Darunter befand sich neben zahlreichen Autoren, Illustratoren, Übersetzern und Verlegern auch Petra Roth, die Oberbürgermeisterin der Stadt Frankfurt. Die Fernsehjournalistin und Autorin Petra Gerster moderierte die Preisverleihung.

Prominente Besetzung in feierlicher Umgebung für einen Spitzenpreis: Der Deutsche Jugendliteraturpreis wird seit 1956 jährlich vergeben und ist der einzige Staatspreis für Literatur. Er wurde vom Bundesinnenministerium als Deutscher Jugendbuchpreis gestiftet und 1956 erstmals von Bundespräsident Theodor Heuss verliehen. Seitdem sind über 190 Bücher deutscher und ausländischer Autoren preisgekrönt worden und cirka 2.500 Kinder- und Jugendbücher haben es in die Nominierungs- und Auswahllisten geschafft. Folgende Titel, Autoren und Illustratoren wurden dieses Jahr ausgezeichnet …

„Was sie zeichnet, braucht keine Schwerkraft“
Die Illustratorin Rotraud Susanne Berner wurde für ihr zeichnerisches Gesamtwerk mit dem Sonderpreis ausgezeichnet, der mit 10.000 Euro dotiert ist. „Sie hat Maßstäbe der Illustration und Gestaltung“ gesetzt, begründete die Jury ihre Entscheidung. „Mit ihren Einfällen hält sie die Welt in Bewegung; denn was sie zeichnet braucht auf wunderbare Weise keine Schwerkraft“, hieß es weiter. Über 150 Bücher hat Rotraud Susanne Berner bislang illustriert. Ihre Techniken sind vielseitig: Von zarten Federzeichnungen über kolorierte Bildtafeln bis hin zu Stempelbildern. Als Höhepunkt ihrer Illustrationskunst bezeichnete der Verleger Hans-Joachim Gelberg ihre Bilder für die Texte von Jörg Schubiger.

Rotraud Susanne Berger ist eine der bekanntesten zeitgenössischen Illustratorinnen und Buchgestalterinnen. Sie ist 1948 in Stuttgart geboren, studierte Grafik-Design und lebt heute als freischaffende Künstlerin in München. Mit ihren Zeichnungen ist sie über Deutschland hinaus bekannt geworden. Bereits drei Mal ist die Illustratorin mit dem Jugendliteraturpreis ausgezeichnet worden. Mit Geschichten um den Hasen „Karlchen“ ist sie in vielen Kinderzimmern zu Hause.

Raus mit der Wut, rein in die Pubertät
In den Kategorien Bilder-, Kinder-, Jugend- und Sachbuch wurde je ein Preis in Höhe von 8.000 Euro verliehen. Eine Hilfestellung für Kinder, die Trauererfahrungen machen, bietet Peter Schössow mit seinem Bilderbuch „Gehört das so??!“. Sein Bilderbuch zeichne sich dadurch aus, dass „endlich mal Wut als Gefühl“ zugelassen werde.

In der Sparte Kinderbuch gewann Valerie Dayre mit „Lillis Leben eben“. Die Jury begründete ihre Entscheidung, indem sie hervorhob, dass dieses Buch auf gelungene Weise „die Befindlichkeiten beim Übergang zur Pubertät in ein irritierend bedrückendes Szenario“ fasse. Die Schriftstellerin wurde 1958 geboren und lebt im französischen Berry.

Geschichten von Sklaven und Wahrheiten über Sinti
Den Preis für das beste Jugendbuch erhielt Dolf Verroen für „Wie schön weiß ich bin“. Die 12-jährige Maria lebt auf einer Teeplantage im Surinam des 19. Jahrhunderts. „In 40 kurzen, nach Art von Prosagedichten arrangierten Episoden erzählt sie mit einfältiger Unbedarftheit vom Leben auf der Plantage und vom Umgang mit den Sklaven“, so die Jury. Die unreflektierte Selbstverständlichkeit, mit der das Mädchen das rassistische Gewaltverhältnis wahrnehme und schildere, irritiere und provoziere den Leser. Dolf Verroen entwerfe eine völlig neue literarische Form der Auseinandersetzung mit einem wichtigen historischen Thema. „Er hat dafür eine ganz leichte, von Rolf Erdorf ins Deutsche übertragene Sprache gefunden, die im krassen Gegensatz zum bedrückenden Inhalt steht“, erläuterte die Jury zu dem Buch.

Die Autorin Anja Tuckermann gewann den Deutschen Jugendliteraturpreis für das Sachbuch „Denk nicht, wir bleiben hier!“. Sie erzählt die Lebensgeschichte des Sinto Hugo Höllenreiner – ohne sich kommentierend einzumischen. „Entstanden ist ein authentisches Zeitzeugnis, schonungslos und beeindruckend, ein tief berührender Text über ein lange tabuisiertes Thema. Anja Tuckermann gelingt es einfühlsam und versiert, ihre Erzähl-Methode dem Menschen Höllenreiner gemäß zu gestalten“, lobt die Jury und fügt hinzu „hieraus entsteht eine neue Qualität biografischen Schreibens“.

Ergriffen von menschlichen Abgründen
Der Preis der Jugendjury, der ebenfalls mit 8.000 Euro dotiert ist, ging an den englischen Autor Kevin Brooks. Sein Roman „Lucas“ erzählt die Geschichte einer Ausgrenzung. "Die 15-jährige Cait lebt mit ihrem Vater auf einer kleinen Insel. Ihr Leben ändert sich schlagartig, als plötzlich Lucas auftaucht. Cait ist vom ersten Augenblick an von ihm fasziniert. Aber Lucas ist auf der Insel unerwünscht. Kurz darauf beginnt eine Hetzjagd auf Leben und Tod. Besonders erschreckend ist die unterschwellige Schilderung von Gewalt. „Ein bemerkenswertes Buch, das uns die tiefen Abgründe menschlichen Verhaltens herzergreifend vor Augen führt", so die Jugendjury.

Auch 2006 gehen die Preisbücher auf Tournee
Die Leseförderungsaktion des Arbeitskreises für Jugendliteratur „Wer liest, gewinnt“ steht dieses Jahr unter der Schirmherrschaft von Ursula von der Leyen. Bereits seit November 2004 tourt der Deutsche Jugendliteraturpreis mit einem Literaturquiz durch die Bundesrepublik. Das Quiz richtet sich an die Klassen 5 und 6 aller Schularten. Seit Beginn der Aktion haben die Kooperationspartner Arbeitskreis für Jugendliteratur, die Servicegesellschaft Das Telefonbuch und Deutscher Bibliotheksverband deutschlandweit insgesamt 40 regionale Veranstaltungen durchgeführt und 40 weitere sind geplant.

Mit dieser Mischung aus Quiz, Lesen und kreativer Umsetzung von Literatur möchte der Arbeitskreis für Jugendliteratur Kinder und Jugendliche für die Bücher des Deutschen Jugendliteraturpreises begeistern. Außerdem soll die Zusammenarbeit zwischen Bibliothek und Schule gestärkt werden. Bisher wurden mit der Initiative rund 4.500 junge Leserinnen und Leser in ganz Deutschland erreicht. Die preisgekrönten Bücher bereichern sicher schon bald die Regale der zahllosen Bibliotheken und Leseförderungsinitiativen!

Die prämierten Bücher im Überblick:

Preisträger der Sparte Bilderbuch:
Peter Schössow
„Gehört das so??!“
Die Geschichte von Elvis
Carl Hanser Verlag
ISBN 3-446-20563-2
Euro 14.90

Preisträger der Sparte Kinderbuch:
Valérie Dayre
„Lilis Leben eben“
Aus dem Französischen von Maja von Vogel
Carlsen Verlag
ISBN 3-551-58123-1
Euro 12.50

Preisträger der Sparte Jugendbuch:
Dolf Verroen
„Wie schön weiß ich bin“
Aus dem Niederländischen von Rolf Erdorf
Peter Hammer Verlag
ISBN 3-7795-0039-6
Euro 12.00 (D), Euro 12.40 (A), sFr 21.90

Preisträger der Sparte Sachbuch:
Anja Tuckermann
„Denk nicht, wir bleiben hier!“
Die Lebensgeschichte des Sinto Hugo Höllenreiner
Carl Hanser Verlag
ISBN 3-446-20648-5
Euro 16.90

Preis der Jugendjury:
Kevin Brooks
„Lucas“
Aus dem Englischen von Uwe-Michael Gutzschhahn
dtv
ISBN 3-423-70913-8
Euro 12.00

Autorin: Katja Haug

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