
Gezielt erlesen, frisch gepriesen |
09.11.2005 |
Auf der Frankfurter Buchmesse erhielten Autoren den Deutschen Jugendliteraturpreis
![]() |
Die Preisträger des Deutschen Jugendliteraturpreises |
Applaus für die kleinen Leserinnen und Leser der Aktion „Wer liest gewinnt“, sagte die allseits bekannte warme Stimme der Moderatorin Gabi Bauer. „Wer liest gewinnt“ ist eine Leseförderungsaktion, die vom Arbeitskreis für Jugendliteratur organisiert wird, der auch dieses Jahr den Deutschen Jugendliteraturpreis vergibt. Zu diesem Anlass wurde auf der Frankfurter Buchmesse ein großer Saal gemietet. Die Kinder stürmten auf die Bühne und einer der Jungen erntete Gelächter aus dem Publikum, als er auf die Frage „bist du ein Lesefreak?“ erst einmal mit einem langgezogenen „oh, na ja“ antwortet. Wer denn da so lachen würde, fragte Gabi Bauer und erfuhr, dass die Schulklasse des Jungen im Publikum sitzt. Relativiert und gerettet wird dieses „oh, na ja“ durch ein „doch - ich lese schon viele Bücher“. Diese Kinder begleiteten die zweistündige Preisverleihung und zeigten, dass der Arbeitskreis auch ganz pragmatische Ziele verfolgt und erreicht – die Leseförderung.
Die prägende Rolle des AKJ in der deutschen Kinder- und Jugendliteratur
Nach der charmanten Einleitung folgte ein sachlich gehaltener Kurzvortrag von Hannelore Daubert, die stellvertretend für den Arbeitskreis für Jugendliteratur e.V. die Verlegerin Heidi Oettinger als erstes Ehrenmitglied begrüßte. Anschließend hob sie die Bedeutung des AKJ für die deutsche Kinder- und Jugendliteratur hervor: „Ohne ihn wäre die deutsche Kinder- und Jugendliteratur nicht das, was sie heute ist.“ Die Geschichte des Arbeitskreises für Kinder- und Jugendliteratur sei zugleich die Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur und spiegele deren Akzentverschiebungen wider. Wandte sich der Arbeitkreis in den fünfziger Jahren noch gegen die so genannte Schmutz- und Schundliteratur, so wurde der ursprüngliche „Arbeitskreis für Jugendbücher“ in den 80er Jahren umbenannt in „Arbeitskreis für Jugendliteratur.“ Was auch bedeutete, dass die literarischen Qualitätsmerkmale von nun an die gleichen sein sollten, wie sie auch für die Literatur von Erwachsenen gelten. Ein Anspruch, der ständiger Reflektion bedarf. Die Arbeit der Juroren ist in der Tat immens: 5.000 Neuerscheinungen jährlich sichten, eine fundierte Auswahl treffen und diejenigen nominieren, die als preiswürdige Werke der Kinder- und Jugendliteratur beurteilt werden.
Gestiftet wurde der Deutsche Jugendliteraturpreis vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Die Juroren der so genannten Kritikerjury setzen sich aus neun Fachleuten zusammen. Die Jurymitglieder werden vom Vorstand des Arbeitskreises für Jugendliteratur gewählt und vom BMFSFJ berufen. Maximal zwei Amtszeiten hintereinander dürfen die Juroren darüber entscheiden, welche Bücher als „herausragend“ gelten sollen. Zudem verleiht eine unabhängige Jugendjury den „Preis der Jugendjury“. Sie besteht aus sechs Leseclubs von Jugendlichen, die aus verschiedenen Teilen Deutschlands kommen. Die von der Jury ausgezeichneten Autoren können sich über eine Summe von 8.000 Euro freuen und erhalten zudem eine Skulptur, die Michael Endes „Momo“ darstellt.
Für sein Lebenswerk erhielt Harry Rowohlt den „Sonderpreis“
Lauter Applaus hallte durch den Saal, als Staatssekretär Peter Ruhenstroth-Bauer Harry Rowohlt als Preisträger des Sonderpreises für sein Gesamtwerk als Übersetzer auszeichnete. Als Begründung sagte Hannelore Daubert: „Ein All-Age-Übersetzer wie Rowohlt, der im erwachsenen und kinderliterarischen Bereich tätig ist, kann den Blick für literarische Qualitäten schärfen, die Werke der Kinder- wie die der Allgemeinliteratur gleichermaßen auszeichnen und so die ohnehin durchlässige Grenze zwischen den Bereichen überschreiten. Es sind Qualitäten wie ausladende Komik, Schrägheit, Hintersinn, Skurrilität, Absurdität, Übertreibung und Genialität, die das gesamte Übersetzungs-Oeuvre Rowohlts durchdringen. Sein ganzes Schaffen zeichnet sich aus durch höchste Ansprüche an sich selbst und Sprachverliebtheit bis zur Sprachbesessenheit.“
Die von dem Übersetzter so „meisterhaft übertragenen“ Bücher würden eine besondere Energie ausstrahlen, und obschon dieser Preis für ein "Lebenswerk" verliehen würde, hofft die Jury, dass Harry Rowohlt das nicht wörtlich nimmt, „sondern diese Energie der deutschen Kinder- und Jugendliteratur noch lange schenkt.“
„Han Ganh und das Wunderpferd“ – der Favorit unter den Bilderbüchern
In der Sparte Bilderbuch überreichte die Jury Chen Jianghong den Deutschen Jugendliteraturpreis. Begründet wurde die Verleihung des Preises unter anderem mit folgenden Worten: „Illustrator und Autor Chen Jianghong hat eine Künstler-Legende aus dem China des 8. Jahrhunderts für heutige Betrachter und Leser neu erzählt. Der knappe Text über den Maler Han Gan und dessen Tierzeichnungen, die lebendig werden, steht der Poesie der Bilder spannungsvoll gegenüber und erzeugt auf diese Weise eine beeindruckende Einheit von Bild und Text. Die im Original auf Seide gemalten großformatigen Bilder ähneln in Abfolge und Ausschnitt traditionellen chinesischen Bildrollen.“
Die Jury hob auch das dramaturgische Geschick, welches mit der kontrastreichen Gestaltung der Bildräume zwischen Ruhe und Dynamik wechsele, hervor. „Denn gerade in einer Zeit der überbordenden Bilderfülle, der scharfen Anschnitte und der schnell wechselnden Bildsequenzen ermöglicht "Han Gan" ein Eintauchen in Bildräume, die durch ihre Eingrenzung auf wenige bildnerische Mittel die Phantasie des Betrachters freisetzen.“
Nicht zuletzt sei es aber die Faszination einer fremden Bildkultur, die dieses Buch zu einer ästhetischen Besonderheit mache.
„Die Kurzhosengang“ mit dem Coolnessfaktor gewann in der Sparte Kinderbuch
Für die Sparte „Kinderbuch“ erhielten der Illustrator Ole Könneke und der Übersetzer Andreas Steinhöfel sowie die Autoren Victor Caspak und Yes Lanois den Deutschen Jugendliteraturpreis. Die Geschichte erzählt von vier Jungs, die in einer Fernsehshow erzählen, wie sie zu dem Namen „Kurzhosengang“ kamen. Dabei wählt jeder eine andere, sehr originelle Begebenheit zum Ausgangspunkt. Die Jury hebt weiter hervor, Andreas Steinhöfel fände bei der Übersetzung in „kurzen und staubtrockenen Sätzen eine Sprache mit dem nötigen Coolness-Faktor“ und Ole Könneckes Schwarzweiß-Illustrationen verstärkten den skurrilen Witz des Romans. „So gelingt ein gekonntes Spiel mit literarischer Fiktion und medialer Verwertung, das sogar noch über den Text hinausgeht“, hieß es in der Rede.
„Schneeweiß und Russenrot“ machte das Rennen unter den Jugendbüchern
Die polnische Autorin „Dorota Maslowska“ und der deutsche Übersetzer „Olaf Kühl“ durften sich als Gewinner in der Sparte Jugendbuch für „Schneeweiß und Russenrot“ glücklich schätzen. Die Geschichte spielt in einer polnischen Stadt und wird als Gedanken- und Bewusstseinsprotokoll eines jungen Mannes beschrieben, der erfährt, dass seine Freundin Magda mit ihm Schluss gemacht hat. Doch daraus entwickelt sich keine der üblichen Beziehungsgeschichten, sondern ein furioses Gedanken- und Bewusstseinsprotokoll. „Sein zwischen Selbstmitleid, Hilflosigkeit und Überheblichkeit schwankendes Lamento offenbart das Lebensgefühl einer verunsicherten jungen Generation auf der Suche nach Sinn, Werten und Liebe“, so die Jury. Der Roman zwinge zu konzentrierter Lektüre und wer sich darauf einlasse, gerate in den faszinierenden Sog einer „ungebändigten, kraftvollen Sprache, die in Metaphern, hochpoetischen Bildern und Neologismen schwelgt, Olaf Kühl hat für diese ekstatische Prosa einen ganz eigenen deutschen Ton gefunden, der von dreckig bis dichterisch alle Nuancen kennt“, betont Daubert in der Laudatio.
„Nester bauen, Höhlen knabbern“ gewann in der Sparte Sachbuch
In der Sparte „Sachbuch“ gewann die junge Illustratorin und Autorin Anne Möller den Preis für das Buch „Nester bauen, Höhlen knabbern“. In ihrem Buch erklärt sie sehr anschaulich, auf welche Weise verschiedene Insektenarten ihren Nachwuchs schützen, Eier ablegen und zu diesem Zwecke höchst kunstvolle Nester bauen. Sie zeigt sehr detailgenau, wie das einzelne Insekt vorgeht und tut dies schrittweise mit Bild und Text. Begründet wurde die Preisvergabe an Anne Möller folgendermaßen: “Die großflächigen und fein gestalteten Collagen - Möller verwendet gerissene Papiere und malt - sind von bestechender Schönheit und Anschaulichkeit. Die Autorin lässt den Betrachter teilhaben an ihren Naturbeobachtungen und weckt in ihm die Lust, sich selber forschend zu betätigen und den Dingen auf den Grund zu gehen.“
Das Buch „Im Schatten der Wächter“ wurde von der Jugendjury auserkoren
Die Jugendjury entschied sich für das Buch von Graham Gardner „Im Schatten der Wächter“. In der Geschichte dreht es sich um einen Jungen, dem es Spaß bereitet, Macht über seine Mitschüler zu besitzen und der nach dem Motto George Orwells handelt: „Der Zweck der Verfolgung ist die Verfolgung. Der Zweck der Folter ist die Folter. Der Zweck der Macht ist die Macht.“ Die junge Jury begründete ihre Entscheidung folgendermaßen: „In seinem ersten Roman gelingt es Graham Gardner, die Wandlungen der Hauptfigur überzeugend und glaubwürdig darzustellen. Die Geschichte wird temporeich, kühl, spannend, dicht, fesselnd und schonungslos offen erzählt.“
Eine Bücher-Datenbank als Geburtstagsgeschenk für den AKJ e.V.
Seitdem der Preis 1956 ins Leben gerufen wurde, prämierten unterschiedliche Jurys insgesamt rund 2.500 Titel, entweder als „Preisbuch“ oder im Rahmen der Auswahl- beziehungsweise Nominierungsliste. Dieser immense Titelfundus spiegelt zugleich die Kinderliteraturgeschichte und die Kindheitsgeschichte wider. Nun ist dieser Fundus auch für die Recherche im Internet verfügbar. Sozusagen als Geschenk für den fünzigsten Geburtstag haben Studenten des Studiengangs „Bibliotheks- und Informationsmanagement“ an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg alle Buchtitel neu verschlagwortet.
Nicht alle Autoren konnten bei der feierlich gestalteten Preisverleihung dabei sein, doch immerhin die meisten. Sie zeigten sich dankbar über die Ehre, die ihnen damit zuteil wurde und können damit rechnen, dass sich diese Auszeichung positiv auf den Verkauf ihrer Bücher auswirkt. Zu guter Letzt fanden sich die glücklichen Gewinner alle auf der Bühne ein, ließen sich fotografieren und verspeisten am Buffet gemeinsam mit den zahlreich erschienenen Gästen koreanische Spezialitäten.
Autorin: Katja Haug
Redaktionskontakt: redaktion@lesen-in-deutschland.de