Bericht

Das Hohelied der Zivilcourage

29.06.2005

Radio Bremen und die ZEIT stellen die neue LUCHS-Buchempfehlung vor: „Das Dritte Reich – eine Dokumentation“





Cover des Buches Das dritte Reich eine Dokumentation
Cover des Buches Das dritte Reich eine Dokumentation
Umfragen belegen: Viele Jugendliche in unserem Lande besitzen nur dürftige Kenntnisse über den Nationalsozialismus und seine Massenverbrechen. Diesen betrüblichen Umstand machen sich Rechtsradikale und Neonazis zunutze, um ihre Lügen und Legenden unters Volk zu bringen. Als Mittel dagegen hilft immer noch am ehesten historische Aufklärung. Die liefert Hermann Vinke in seiner Dokumentation Das Dritte Reich.

Der Journalist und frühere ARD-Korrespondent hat in mehreren Büchern, darunter eine preisgekrönte Biografie der Sophie Scholl, bewiesen, dass er sich auf die Bedürfnisse eines jugendlichen Publikums einzustellen weiß. Er schreibt informativ, ohne den aufdringlichen Gestus der Belehrung, in einer präzisen, schnörkellosen Sprache. Und er versteht es, auch komplizierte Sachverhalte bündig darzustellen, ohne dass dabei Wesentliches verloren geht.

Präsentiert wird die Geschichte des »Dritten Reiches« nicht als trockener Schulbuchtext, sondern in einer interessanten Mischung aus Erzählung, handbuchartigen Erläuterungen, Kurzbiografien und chronologischen Übersichten. Besonders hervorzuheben ist die sorgfältige Auswahl der mehr als 300 historischen Fotos. Sie sind nicht nur illustratives Beiwerk, sondern erzählen häufig eine eigene Geschichte.

Vinke setzt kräftige Akzente. Er betont den terroristischen Charakter der Nazi-Diktatur, ohne ihre verführerischen Seiten zu unterschlagen. Heutige Jugendliche möchten ja auch erfahren, was den Nationalsozialismus für junge Menschen damals so attraktiv machte. Noch wichtiger ist es, ihnen verständlich zu machen, wie es zu den beispiellosen Verbrechen hat kommen können. In den Schlüsselkapiteln über den deutschen Vernichtungskrieg und den Holocaust wird nichts ausgelassen: das Wüten der Einsatzgruppen und der Wehrmacht in Polen und der Sowjetunion, das Massensterben der sowjetischen Kriegsgefangenen, die brutale Rekrutierung von Zwangsarbeitern, schließlich die Ermordung der europäischen Juden in Auschwitz und anderen Todesfabriken. „Ein Bruch der Zivilisation findet statt, der in seinen Ausmaßen letztlich nicht fassbar ist“, kommentiert der Autor.

Vinke zeigt aber auch: Es gab immer Menschen, die nicht mitmachten oder sich anpassten, sondern der Stimme ihres Gewissens folgten und sich widersetzten – die Bedrängten zur Flucht verhalfen, Juden versteckten, Befehle verweigerten. Von der organisierten Opposition gegen Hitler bis hin zu den kleinen Gesten der Mitmenschlichkeit im Alltag wird eine breite Palette widerständigen Verhaltens entfaltet. Das Buch preist die Tugend der Zivilcourage. Es waren nicht viele, die den Mut zum Protest aufbrachten, und nicht wenige bezahlten mit ihrem Leben. Nicht nur bekannten Widerstandskämpfern, sondern manchen der „stillen Helden“ setzt Vinke in seinen biografischen Porträts ein Denkmal.

Am Ende zitiert der Autor aus Richard von Weizsäckers Rede zum 8. Mai 1945: „Die Jungen sind nicht verantwortlich für das, was damals geschah. Aber sie sind verantwortlich für das, was in der Geschichte daraus wird.“ Zu dieser Verantwortung gehört ein bewusster Umgang mit der dunkelsten Periode deutscher Vergangenheit, und dafür bietet dieses Kompendium des Wissens eine ausgezeichnete Grundlage.

Zum Autor:
Hermann Vinke wird 1940 im Emsland geboren. Er studiert Geschichte und Soziologie, arbeitet als Redakteur bei verschiedenen Tageszeitungen bevor er zum NDR nach Hamburg geht. Es folgen mehrere Jahre im Ausland als Hörfunk-Korrespondent für die ARD: Von 1981 bis 1986 berichtet er aus Japan, danach bis 1990 aus den USA. Zwei Jahre leitet Hermann Vinke das ARD-Studio Berlin/Ostdeutschland, übernimmt dann den Posten des Hörfunk-Programmdirektors bei Radio Bremen und ist nach seinem Ausscheiden im Jahr 2000 als Sonder-Korrespondent unterwegs, Berichtsgebiet Osteuropa. Hermann Vinke ist Autor vieler Hörfunk-Sendungen, schreibt u.a. 1982 für Radio Bremen eine dreiteilige Reihe über Sophie Scholl. Neben seiner Arbeit als Journalist ist Hermann Vinke auch Autor mehrerer preisgekrönter Bücher. Sein erstes Buch, die Biografie von Carl von Ossietzky, erscheint 1978. 1980 folgt „Das kurze Leben der Sophie Scholl“, für das er den Deutschen Jugendbuchpreis und den Jugendbuchpreis „Buxtehuder Bulle“ erhält.
Weitere Bücher von Hermann Vinke u.a.:
‚Ich habe nicht um mein Leben gebettelt' - Ein Portrait der Cato Bontjes van Beek, die als 22jährige Widerstandskämpferin von den Nazis hingerichtet wurde und heute zu Unrecht vergessen ist.
Fritz Hartnagel - Der Freund von Sophie Scholl“, eine Biographie.

Zum Buch:
Hermann Vinke: Das Dritte Reich
Eine Dokumentation mit zahlreichen Biografien und Abbildungen; Ravensburger Buchverlag, Ravensburg 2005; 224 S., 19,95 € (ab 12 Jahren)

Rezension von ZEIT-Redakteur Volker Ullrich und
Text
zum Autor von Radio Bremen - Redaktion

Diese Rezension veröffentlichen wir mit freundlicher Genehmigung von ZEIT und Radio Bremen

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