
HUCKEPACK-Preis 2022 für ein poetisches Bilderbuch |
10.05.2022 |
„Ich bin wie der Fluss“ hat Modellcharakter für Eltern
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HUCKEPACK Preisbuch 2022 © Aladin-Verlag |
Der siebte HUCKEPACK-Bilderbuchpreis wurde am 6. Mai 2022 in der Phantastischen Bibliothek Wetzlar im Rahmen einer pädagogischen Fachtagung zum Thema „Zeit für starke Kinder“ vergeben. Durchsetzen konnte sich ein Titel aus Kanada:
Ich bin wie der Fluss
Von Jordan Scott (Text) und Sydney Smith (Illustration)
Aus dem kanadischen Englisch von Bernadette Ott
Stuttgart: Aladin, 2021
Blick ins Buch
Ein Vater nimmt seinen Sohn im übertragenen Sinn HUCKEPACK
In dem poetischen Bilderbuch erzählt ein namenlos bleibender Junge aus der Ich-Perspektive über ein Schlüsselerlebnis, das in entscheidender Weise dazu beiträgt, sich selbst annehmen zu können. Nach einem besonders schlimmen Tag in der Schule, an dem es dem Jungen aufgrund seiner Sprachstörung nicht gelingt, vor der Klasse zu sprechen, lädt ihn sein Vater zu einem Ausflug an den Fluss ein. Dort, angesichts des sprudelnden und gischtenden Wassers, gibt der Vater seinem Sohn ein inneres Bild, das ihn sein Leben lang begleiten wird: „Du bist wie der Fluss“, sagt er, und die Identifikation mit dem lebendigen Wasser beruhigt den Jungen. Er, der sich zuvor in Worten verhedderte und darunter litt, dass sich einzelne Wörter wie Wurzelwerk in seinem Mund verflechten, findet sich in der Metapher wieder und kann sich endlich selbst akzeptieren. In einem Nachwort erfahren die Leser*innen, dass Jordan Scott hier seine eigene Geschichte erzählt. Der kanadische Lyriker dankt mit dem Text seinem Vater.
Schlüsselerlebnis in beeindruckender Bildsprache
Illustrator Sydney Smith, der auch schon im vergangenen Jahr mit seinem Bilderbuch „Unsichtbar in der großen Stadt“ auf der Auswahlliste für den HUCKEPACK-Bilderbuchpreis stand, setzt die Nöte des Jungen in beeindruckender Weise um, indem er anfangs die Farben ineinander verfließen lässt, als würde man durch einen Tränenschleier sehen. Am Fluss ändert sich die Bildsprache: Die Farben werden kühl und klar, die Szenerie bildet eine geradezu spürbare Ruhe ab. Der Moment, in dem der Junge und der Fluss eins werden, wird auch für die Betrachter*innen zu einem Schlüsselerlebnis, weil sich hier die Bilderbuchseiten noch einmal weit aufklappen lassen, sodass ein sehr breit laufendes fotorealistisches Bild vor ihnen liegt, dessen glitzerndes Wasser den Atem stocken lässt.
„Das Buch ist einfach unglaublich“, sagt Bettina Twrsnick aus der Jury und bezieht sich damit zum einen auf die grandiosen Bilder, zum anderen aber auch auf den lyrischen Text, der von Bernadette Ott so wunderbar ins Deutsche übertragen wurde. „Es gibt nur wenige Bilderbücher, die das Stottern thematisieren – dass es hier so berührend umgesetzt wurde, ist ein wahrer Glücksfall“, fährt sie fort. „Wie der Vater in diesem Buch im übertragenen Sinn sein Kind HUCKEPACK nimmt und ihm mit dem inneren Bild Halt fürs Leben gibt, hat Modellcharakter für alle Eltern.“
Die HUCKEPACK-Nominierungsliste 2022
Mehr als 400 Bilderbücher aus dem Jahr 2021 waren von der Jury eingehend geprüft und bewertet worden, bevor sich die Bilderbuchexpert*innen aus Bremen, der Wetterau, Wertheim und Wetzlar auf das Preisbuch einigten. Die Jury prüft nicht nur die literarische und bildästhetische Qualität, sondern legt auch großen Wert auf die identitätsstiftende Kraft, die Text und Bildern innewohnt.
Unsere Grube
Von Emma AdBåge (Text & Illustration)
Aus dem Schwedischen von Friederike Buchinger
Weinheim und Basel: Beltz & Gelberg, 2021
Die Kinder lieben die große Grube am Rand des Schulhofs, die Erwachsenen finden sie gefährlich. Immer wieder verbieten sie das Spielen dort, doch immer finden die Kinder neue Ideen, die das Verbot zwar respektieren, die Grube aber dennoch als Spielort nutzen lassen. Ein großartiges Bilderbuch auch für Erwachsene, die erkennen müssen, dass man Kinder nicht Huckepack nimmt, indem man sie einschränkt.
Huhu, Herr Schuhu
Von Helen Stephens (Text und Illustration)
Aus dem Englischen von Christiane Lawall
Berlin: Annette Betz Verlag, 2021
Jeden Abend ruft Ben der Eule im Baum vor seinem Haus einen Gruß zu: „Huhhuh!“ Und sie antwortet ihm. Doch außer Ben hat sie noch niemand gesehen. Als der alte Baum gefällt werden soll, muss Ben handeln. Er ruft so lange, bis sich die Eule endlich auch den Erwachsenen zeigt – mit ihrer Partnerin und Eiern im Nest ... In diesem Bilderbuch erleben Kinder, dass sie ihrer Wahrnehmung trauen dürfen. Ihr mutiges Auftreten kann andere überzeugen und Unrecht verhindern.
Wau Wau Miau!
Von Blanca Lacasa (Text) & Gómez (Illustration)
Aus dem Spanischen von Ursula Bachhausen
Hamburg: Ellermann, 2021
Alle haben eigene Wünsche und Bedürfnisse; niemand funktioniert einfach so, wie das Umfeld es vielleicht erwartet. Hund Fabio bellt nicht und holt keine Stöckchen. Er tut nichts, was von einem Hund erwartet wird. Aber er ist mit Katzen glücklich. Wie schön, als seine Familie das endlich erkennt und ihn mit seinen Katzeneigenschaften akzeptiert. Ein feinfühliges Buch über Diversität und Angenommenwerden!
Zwei Jungs und eine Hochzeit
Von Andrée Poulin (Text) & Marie Lafrance (Illustration)
Aus dem Französischen von Hannah Dierkes
Grevenbroich: Südpol, 2021
Emil und Mathis sind allerbeste Freunde. Als sie im Sandkasten einen Ring finden, wollen sie heiraten und organisieren gemeinsam mit anderen Kindern eine richtige Feier. Doch Mathis’ Eltern finden das gar nicht gut. Das macht ihn traurig, bis ihm eines der Mädchen sagt, dass Eltern nicht immer recht haben. Kinder dürfen Geheimnisse haben und wissen manchmal viel besser, was sich richtig anfühlt. Ein wunderschönes Regenbogen-Buch gegen Vorurteile.
Die Wette
Von Antje Damm (Text & Illustration)
Frankfurt am Main: Moritz Verlag, 2021
Hat wirklich der Gärtner recht, als er sagt, dass Pflanzen nur Wasser zum Wachsen brauchen? Oder stimmt das, was Lilo sagt: Zum Wachsen gehören auch Liebe und Zuwendung. Eine Wette soll zeigen, wessen Pflanze besser gedeiht. Wunderbar, wie sich Kinder und Erwachsene hier auf Augenhöhe begegnen!
Ich gehör dazu!
Von Tom Percival (Text und Illustration)
Aus dem Englischen von Salah Naoura
München: arsEdition, 2021
Isabells Familie ist arm an Dingen, aber reich an Zuwendung und Mut. Als Isabell sich von den Menschen um sie herum immer weniger wahrgenommen fühlt, verzagt sie nicht. Sie sieht andere, die wie sie selbst beinahe unsichtbar sind: Obdachlose, Einsame, Menschen, die ohne Hoffnung sind. Indem sie auf sie zugeht und ihnen durch einfaches Handeln Beachtung und Wertschätzung zeigt, macht sie sie sichtbar und schafft schließlich etwas Großartiges: Veränderung! Ein starkes Bilderbuch über Resilienz und Herzensmut.
Noch ein Märchen für das Bärchen
Von Alice B. McGinty (Text) und Richard Jones (Illustration)
Aus dem amerikanischen Englisch von Cornelia Boese
München: arsEdition, 2021
Bevor es in den Winterschlaf geht, gibt es noch so viel zu tun. Kann das Bärchen der Mutter helfen und sich so ein Märchen verdienen? Wunderschöne Reime und Bilder erzählen hier warmherzig von der behütenden Liebe der Bärenmama, die ihr Kind jederzeit im Blick hat, auch wenn das Bärchen davon nichts spürt.
Ein Schlüssel für Mama
Von Claudia Gliemann (Text) & Natalia Bzdak (Illustration)
Karlsruhe: Monterosa, 2021
Die Mama von Frieda und Freddy liebt ihr Cello und leidet darunter, ihre Musik wegen Corona nicht mehr vor Publikum spielen zu können. Die Kinder können nichts tun, um sie wieder froh zu machen. Erst als Papa die richtigen Worte findet, um den Kindern Depression zu erklären, wissen sie, dass sie nicht schuld an Mamas Traurigkeit sind.
Entenblau
Von Lilia (Text und Illustration)
Aus dem Koreanischen von Christina Youn-Arnoldi
München: Mixtvision, 2021
Ein kleines Krokodilkind ohne Mama, eine liebevolle Ente, die sich seiner annimmt. Eine ungleiche Konstellation, in der sich bald die Größenverhältnisse verschieben. Als die Ente älter wird und immer mehr vergisst, vertauschen sich die Rollen. Jetzt ist es das Krokodil, das die Fürsorge übernimmt. Eine in sparsamen Zeichnungen erzählte Geschichte über Demenz und Liebe, die nichts beschönigt, dabei aber schon Kleinen zeigt, dass sie manchmal auch Große „Huckepack“ nehmen können.
Ich bin wie der Fluss
Von Jordan Scott (Text) und Sydney Smith (Illustration)
Aus dem kanadischen Englisch von Bernadette Ott
Stuttgart: Aladin, 2021
Als der Junge in der Klasse von seinem Lieblingsort erzählen soll, bleibt er stumm. Die Worte wollen seinen Mund nicht verlassen, sie verknoten ihm die Zunge wie ein Geflecht von Wurzeln. Er fühlt sich so schlimm, dass sein Vater ihn abholen muss. Zusammen fahren sie an den Fluss, und hier gibt der Vater seinem Sohn ein wunderbares Bild, das ihm hilft, sich selbst anzunehmen. „Ich bin wie der Fluss“ erzählt von einer Sprachbehinderung und einer metaphorischen Brücke ins Leben – ermutigend und berührend.
Der große und der kleine Igel: Warte doch mal!
Von Britta Teckentrup (Text & Illustration)
Berlin: Verlagshaus Jacoby & Stuart, 2021
Es ist schon spät, als der große und der kleine Igel sich auf den Heimweg machen. Während der große es eilig hat, hält ihn der kleine beständig zurück – es gibt doch in der hereinbrechenden Nacht so viel zu entdecken! Wie schön, dass der große Igel sich ganz auf das Tempo des kleinen einlassen kann, denn so nimmt auch er die Welt viel bewusster wahr. Ein traumschönes Bilderbuch für Kleine, die hier erfahren, dass sie mit ihrer Sicht auf die Welt auch den Großen noch viel beibringen können.
Kontakt:
Maren Bonacker
Phantastische Bibliothek Wetzlar
Turmstraße 20
35578 Wetzlar
Tel.: (06441) 4001-20 oder -25
E-Mail: mail@phantastik.eu
www.phantastik.eu
Dr. Elisabeth Hollerweger
Institut für Bilderbuchforschung (BIBF)
Universität Bremen
Fachbereich Erziehungs- und Bildungswissenschaften
Universitäts-Boulevard 11/13
28359 Bremen
E-Mail: hollerweger@uni-bremen.de
www.uni-bremen.de/fb12/bibf
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