
„Wer eigentlich bin ich?“ |
10.08.2018 |
Anthologie mit Texten von Jugendlichen aus Oldenburg und Osnabrück
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Titelseite der Anthologie © Geest-Verlag |
Erste Preisträgerin des Vechtaer Jugendliteraturpreises ist die 17-jährige Svea Marie Sieve aus der Schreibwerkstatt des Gymnasiums Antonianum Vechta.
Schweben am Glasrand
Du und Ich sitzen frei in einem Käfig aus Strohhalmen, nach denen zu greifen wir immer versucht haben.
Aber Rücken an Rücken und mit verschränkten Fingern lässt es sich nicht so leicht aus dem Glas des anderen probieren.
Kopf an Kopf kann man nicht sprechen, könnten doch die geflüsterten Atemzüge unseren plastikparadiesischen Käfig umpusten.
Als ich dann deine Tränen zu verschütten beginne, schlürfst du meine Limonade runter, bis wir zwei neue Strohhalme in die Gitterstäbe einflechten können.
Autorin: Svea Marie Sieve, 17 Jahre
Den 1. Preis der Bürgerstiftung erhielt die 18-jährige Laura Sheila Jünemann aus der Schreibwerkstatt des Gymnasiums Antonianum Vechta.
Goldener Zuckerguss
Einer dieser Tage,
an der die Kreativität
anstelle deiner lebt.
Es gibt kein Ich,
nur das Nicken deines Kopfes zur Musik,
und alle Gedanken haben den Takt eines Gefühls,
dessen Farben du sehen kannst.
Ist unwichtig,
ob du morgen noch atmest,
weil du siehst, Zeit spielt keine Rolle,
solange du frei bist.
Irgendwie funktioniert alles von allein,
du isst,
wenn du Hunger hast,
doch später ist es egal,
was das eigentlich war,
Hunger und Brot.
Als würdest du schlafen,
langweilig,
wenn das Leben ein Spiel ist,
das du nur gewinnen kannst?
Wenigstens,
der Schmerz ist fern von schlecht oder gut,
einfach da,
in dem Bild, das vor dir schwebt,
und du musst nicht mehr sehen,
wohin du wirklich läufst.
Autorin: Laura Sheila Jünemann, 18 Jahre
Der 1. Preis des Kulturamtes der Stadt Cloppenburg ging an die 15-jährige Celine Riesenbeck.
Wer bin ich eigentlich?
Eine Frage, die uns wohl alle früher oder später interessiert. Etwas, worüber sich jeder eines Tages mal Gedanken macht. Aber um herauszufinden, wer wir sind, sollten wir am Anfang starten, und das ... das ist meine Geschichte:
Ich bin Celine Riesenbeck, ich bin 15 Jahre alt und bin in Deutschland geboren. Ich bin stets hilfsbereit, versuche immer, meinen Freunden und anderen Menschen zu helfen, wo ich kann. Ich möchte immer alles richtig machen, was natürlich nicht immer klappt. Meine Stärke liegt darin, dass ich mich meistens auf meinen eigenen Verstand verlasse. In meinem Geschlecht fühle ich mich nicht immer wohl, einfach weil man als Mädchen nicht immer ernst genommen wird. Aber das ist der Grund, warum ich einerseits froh bin, ein Mädchen zu sein, denn ich möchte allen beweisen, dass wir genauso mutig, kräftig, intelligent und stark sind wie Männer.
Manchmal wäre ich gerne anders, denn ich habe oft Angst, das zu machen, was ich eigentlich will. Ich würde gerne immer meine Meinung sagen können, aber ich habe ständig Angst, meine Mitmenschen mit meinen Worten zu verletzen oder sie sauer zu machen.
Ich kann nicht wirklich sagen, was mich besonders macht, denn aus meiner Sicht finde ich nicht, dass etwas an mir besonders ist. Aber andere sagen, dass ich von meiner Denkweise her etwas Besonderes bin, denn ich bin ein sehr nachdenklicher Mensch. Sie sagen, ich hätte eine bessere Denkweise als manche Erwachsene.
Das ist auch der Grund, warum ich so viele Zweifel habe. Ich verzweifle an dieser Welt, denn sie gefällt mir schon lange nicht mehr. Denn alles, was wir Menschen in dieser Welt zu bieten haben, sind Schmerzen und Leid. Wir führen Kriege, obwohl uns schon als kleines Kind beigebracht wird, dass Gewalt keine Lösung ist. Wir ermorden Menschen, obwohl wir wissen, dass wir nicht das Recht haben, über Leben und Tod zu entscheiden. Wir zerstören die Natur, obwohl wir uns eigentlich selbst geschworen haben, sie nicht anzurühren. Jeden Tag geschehen Verbrechen auf viele verschiedene Arten und Weisen. Terror, Kriege, Ermordungen, Vergewaltigungen, Entführungen, Erpressungen ... die Liste ist endlos. Ich sehe die Zukunft der Welt nicht wirklich als ein grandioses Farbenspiel. Eher das Gegenteil. Wenn wir so weitermachen, wie wir es jetzt tun, dann sind wir selbst schuld, wenn wir eines Tages wegen unserer eigenen Taten zugrunde gehen. Wir allein sind schuld daran, dass auf dieser Welt längst nichts mehr so ist, wie es einmal war. Denn Verbrechen sind in der heutigen Zeit ‚normal‘. Wir sind es in erschreckender Weise schon gewohnt, jeden Tag mit diesen Sachen konfrontiert zu werden. Und abgestumpft sind wir auch, denn an allen geht es einfach so vorbei. Lediglich die eigene Familie und der Freundeskreis sind betroffen.
Meine eigene Zukunft sehe ich auch nicht besonders fröhlich, weil ich weiß, dass mich viele Probleme und Schmerzen erwarten werden. Das ist schon vorprogrammiert. Nicht durch mich. Nicht weil ich es will, sondern durch andere. Denn andere entscheiden heutzutage, wie ich sterben soll. Sie setzen sich betrunken hinters Steuer mit dem Risiko, mich oder andere zu überfahren. Sie entführen mich mit der Entscheidung, mich umzubringen, wenn ich nicht das tu, was sie verlangen. Sie legen sich Bomben mit der Drohung an, wir werden alle sterben, wenn wir nicht auch daran glauben, woran sie glauben. Und ich möchte so gern, dass wir alle endlich in Frieden leben können. Dass die Gerechtigkeit wieder auf diese Welt zurückkehrt. Denn, unschuldige, Menschen sind mir wichtiger als mein eigenes Leben.
Das ist auch der Grund, warum ich nicht glücklich bin. Ich kann nicht lachen, während andere weinen. Ich kann nicht lieben, während andere hassen, und ich kann nicht leben, wenn andere sterben. Wenn ich könnte, würde ich so viel ändern. Ich würde den Hungernden zu essen geben, den Trauernden Kraft schenken, den Ängstlichen Mut zusprechen, denn Hassenden Liebe geben und den Leidenden den Schmerz nehmen.
Rache ist in der heutigen Zeit die größte Motivation eines Menschen! Aus Rache entsteht dieser endlose Kreislauf aus Tränen und Schmerz. Dieser unendliche Hass wird dort geboren.
Meinen Alltag erlebe ich immer anders, aber immer nachdenklich. Natürlich gibt es gute Tage, an denen ich Hoffnung habe, aber leider zu viele, an denen ich nur schwarzsehen kann. Das Leben ist wie ein Labyrinth. Der Anfang des Labyrinths ist die Geburt und das Ende der Tod. Und der Weg durch das Labyrinth ist unser Leben. Manche brauchen sehr lange, um das Ende zu finden, andere finden es leider viel zu früh. Und während des Weges kann man stolpern, sich verirren und verlaufen. Andere beenden den Weg leider selbstständig.
Ich habe so viele Zukunftsängste. Ich habe Angst, alles zu verlieren, was mir überhaupt noch die Kraft gibt weiterzumachen. Ich habe Angst, dass diese Welt und die Menschen sich weiter selbst zerstören. Ich habe Angst, eines Tages nie wieder Hoffnung zu haben. Ich habe Angst vor meiner Zukunft, einfach weil ich nicht weiß, was auf mich zukommt, denn ich kann immer sterben. Bei einem Terroranschlag auf einem Konzert oder wenn ich über die Straße laufe.
Ich verkrieche mich gerne zu Hause, um meine eigenen Geschichten zu schreiben. Schöne und traurige. Oft versuche ich, mich in andere Welten zu verkriechen in der Hoffnung, dass dort alles besser ist.
Früher war es schwer für mich, diese ausgedachte Welt mit der Realität zu verbinden, heute nicht mehr. Denn inzwischen belastet es mich so sehr, dass ich es nicht mehr ignorieren kann und auch nicht mehr will. Denn selbst meine Vorbilder haben mir gezeigt, dass es nicht lohnt, sich zu verstecken. Damit hilft man weder sich noch anderen. Damit rennt man nur vor sich selbst und den wichtigen Sachen weg. Denn eines Tages steht man seinen Ängsten und Problemen gegenüber, dann gibt es kein Entkommen mehr. Irgendwann ist man immer in einer Sackgasse.
Meine Vergangenheit hat etwas damit zu tun, dass ich jetzt so denke. Angefangen hat das alles, als ich meine Vorbilder kennenlernte, denn sie kämpften für Frieden und Gerechtigkeit. Sie haben mir die Augen geöffnet, haben mir gezeigt, was hinter all den lächelnden Gesichtern steckt. Haben mir gezeigt, wie hinter Reichen, die sich alles leisten können, Familien sitzen, die verhungern, weil sie nichts besitzen. Sie haben mir gezeigt, dass hinter einem grünen Wald eine von Bomben zerschlagende Gegend steckt. Es ist nicht so, wie wir es sehen und wie es uns gezeigt wird. Hinter der bunten Welt steckt eine Welt, deren Leid größer als das Universum ist.
Wir Menschen tun immer so, als wüssten wir alles, als könnten wir all unsere Fragen beantworten, aber das können wir nicht. Auf der Welt spielen wir Gott, dabei sind wir alle nur ganz kleine Bausteine eines ganzen Universums. Wir sind so klein, dass man uns vom Himmel aus überhaupt nicht mehr sehen kann. Allein auf dieser Welt sind wir schon so klein, aber vom Universum aus betrachtet, sind wir völlig unbedeutend und unwichtig. Und trotzdem denken wir, dass wir allein alles beherrschen könnten. Ich hoffe, dass eines Tages alle Menschen verstehen, dass es so nicht weitergehen kann. Denn wir leben nicht mehr in der Zeit, in der etwas verändert werden kann, sondern in der Zeit, in der etwas verändert werden MUSS!
Zusammengefasst bin ich also jemand, der mehr über die Welt nachdenkt, als dass er richtig atmen kann.
Autorin: Celine Riesenbeck, 15 Jahre
Wer eigenlich bin ich?
Die Anthologie des gleichnamigen Buchprojekts für Jugendlichen zwischen 14 und 20 Jahren zwischen Oldenburg und Osnabrück
Geest-Verlag 2018
ISBN: 978-3-86685-675-2
10 Euro
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Alfred Büngen
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