Bericht

Was mir Hoffnung macht

08.04.2016

Kinder und Jugendliche aus dem Ruhrgebiet erzählen




Titelseite der Anthologie
Titelseite der Anthologie
© Geest-Verlag
Geht es um das Thema Hoffnung, so sind Kinder und Jugendliche in ihrem Element. Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 20 Jahren im Ruhrgebiet ganz besonders. An die 300 Texte haben sie für die elfte Essener Anthologie „Was mir Hoffnung macht“ eingesandt, einer interessanter als der andere. Und: Sie kommen aus allen Ecken des Reviers. Von Duisburg bis Hamm und von Herten bis Ennepetal melden sie sich sprichwörtlich zu Wort. Die mit und die ohne Migrationsgeschichte in der Familie. Auffällig dabei: Viele von ihnen beteiligen sich zum ersten Mal an dieser Ausschreibung. Teilweise sind es Sammeleinsendungen aus der Schule, teilweise aber haben sich Jugendliche auch ganz eigenständig mit ihren Texten eingebracht. Und das ist bemerkenswert. Oft haben sie ein kleines Anschreiben beigefügt, in dem sie sich persönlich dafür bedanken, dass ihnen dieses Podium zur Verfügung gestellt wird. Es ist ja schon etwas anderes, ob man seine Gedanken zu Hause irgendwo aufschreibt (so wichtig das ist) oder ob man sie in ein richtiges Buch einbringt und öffentlich gehört wird. Es ist der Reiz, sich schreibend seiner selbst vergewissern, etwas fiktiv entwerfen und gestalten zu können. Es ist aber auch der Reiz, andere zu finden, die sich genauso beteiligen und/oder sich mit dem Erschriebenen auseinandersetzen. Es geht also tatsächlich um das, was ihnen Hoffnung macht.
Und so rücken in der neuen Essener Anthologie die Kinder und Jugendlichen aus dem Revier selbst in den Mittelpunkt, und zwar so, wie sie sind. Mit ihren Hoffnungen, ihren Wünschen und ihren Ängsten. Aber auch mit ihren ganz persönlichen Antworten auf das, was viele Erwachsene in der Bundesrepublik umtreibt: die Flüchtlingskrise, die Situation in der Ukraine, der Konflikt in Syrien und im Irak und ... und ... und ... „Was mir Hoffnung macht“ ist ihre Antwort, mit der sie sich einbringen und den Dialog mit anderen Jugendlichen und Erwachsenen suchen.

Alfred Büngen

Als Leseproben veröffentlichen wir Texte von Louisa Regelmann (12), Irem Kaya (13), Julia Litau (17), Talha Ünal (17) und Katharina Prinz (19).

Schreiben
Schreiben ist Leben. Schreiben ist Freiheit. Schreiben ist eine nie endende Reise in majestätische Welten, die ich mir nur erdenken kann. Schreiben drückt meinen Charakter aus. Schreiben ist meine Begabung. Schreiben gibt mir Hoffnung. Buchstaben, Wörter und Sätze. Keiner hat leidenschaftliches Interesse an unabhängigen Buchstaben, doch für mich haben sie Bedeutung. Mit ihnen ist unsere ganze Welt geprägt. Eine kurze, für mich bedeutende Reise in ein anderes Universum beginnt mit einem winzigen Buchstaben. Der Augenblick, wenn ich mein Papier berühre und in eine komplett veränderte Welt abtauche, wie ich sie mir vor meinem inneren Auge vorstelle. Ohne Regeln und ohne Krieg leben. Solche Vorstellungen kann ich nur in meinen Texten leben. Emotionen, Gefühle, Gedanken und Sorgen kann ich nur zu Papier bringen, da, wie Otto Frank (der Vater von Anne Frank) sagte, das Papier geduldiger ist als der Mensch. Meine Texte sind für mich wie Ferien. Ferien vom Leben. Keiner kann mich verbessern oder mir Vorschriften geben, an die ich mich halten soll. Ich lebe in meiner komplett eigenen Welt, die mir alleine gehört. Das Schreiben gibt mir Hoffnung, diese Welten wahr werden zu lassen. Der Moment, wenn ich den Bleistift ansetze und mein Herzblut, meine Gedanken, meine Gefühle und meine Emotionen in unersetzliche Texte einfließen. Dieses Geräusch, wenn der Bleistift schon fast ohne Kontrolle kleine Buchstaben feinsäuberlich aufs Papier kratzt und das Radiergummi schwerelos wie ein freier Vogel über die Wörter gleitet. Meine Buchstaben, Wörter, Sätze, Zeilen, Absätze und Texte sind für mich unersetzlich geworden. Ich denke nicht, dass diese für Außenstehende unbedeutenden Zeilen eines zwölfjährigen Schulmädchens mal jemanden interessieren werden, doch für mich sind diese Zeilen unersetzlich, bedeuten mein Leben, denn das Schreiben gibt mir die Hoffnung, die ich in dieser etwas beschwerten Welt brauche.

Louisa Regelmann (12 Jahre)


Das Herz und die Vernunft
Einst sprach die Vernunft zum Herzen: „Der Mensch kann froh sein, dass es mich gibt. Ich sage ihm immer, was für ihn richtig ist.“
„Ja“, antwortete das Herz, „du meinst es nur gut. Und doch wirst du oft zum Werkzeug, mit dem die Menschen ihr eigenes Unglück schmieden.“
„Das stimmt nicht!“, entgegnete die Vernunft, „ich bin es, die dem Menschen viel Ärger erspart.“
„Gelegentlich“, wandte das Herz ein, „aber wenn es um die Hoffnung geht, unterdrückst du mich. Du wirst zum Lügner, weil du dich zu oft von der Angst täuschen lässt. Ich kann nicht lügen. Ich zeige den Menschen, was gut für sie ist. Doch da sich die Menschen sehr oft von dir leiten lassen, hören sie meine Stimme nicht mehr.“
„Und dennoch bewahre ich sie vor Enttäuschungen“, warf die Vernunft ein.
„Da irrst du dich gewaltig“, widersprach das Herz. „Wenn du mich unterdrückst, ist der Mensch schon enttäuscht. Denn du hast die Hoffnung erstickt, die ihn hätte glücklich machen können.“
Da wurde die Vernunft sehr traurig.

Irem Kaya (13 Jahre)


Die weiße Feder
Es war ein kalter und grauer Tag. Wie immer saß er auf der Bank und lauschte dem Regen. Nass zu werden, machte ihm schon lange nichts mehr aus. Zu lange war es her, dass er das letzte Mal etwas gefühlt hatte. Helle und unbeschwerte Tage gab es nur noch in seiner Erinnerung. Er wusste selber nicht genau, wie sich alles um ihn herum verändert hatte oder wie lange er schon hier saß. Das Einzige, was er wollte, war Freiheit. Frei sein von seiner Arbeit, die er verabscheute, frei sein von seinen falschen Freunden, frei sein von sich selbst.
Plötzlich wurde es heller und er sah eine kleine weiße Feder vor sich in der Luft schweben. Und in seinem Kopf kamen lange verdrängte Erinnerungen hoch: Damals, als er noch alles vor sich hatte. Alles war so leicht und unbeschwert. So wie diese Feder. Er wünschte sich die alte Zeit zurück. Wie konnte es nur so weit kommen?
Dann traf er eine Entscheidung. Gleich morgen würde er kündigen und den Kontakt zu seinen „Freunden“ abbrechen. Vielleicht sogar in eine andere Stadt ziehen. Ein Neuanfang. Ein helles Licht riss ihn aus seinen Gedanken. Die Sonne strahlte, und seine Umgebung leuchtete in bunten Farben. Er hob die Feder, die ihm seine Hoffnung zurückgebracht hatte, auf und machte sich auf den Weg nach Hause.

Julia Litau (17 Jahre)


Der Krieg
Ich heiße Ali. Ich bin vierzehn Jahre alt und komme aus Syrien.
Genau von dort, wo der Krieg ist.
Wo jeden Tag unzählige Bomben fliegen.
Wo jeden Tag Hunderte von Menschen sterben.
Ich lebte mit meiner Familie in einer Ruine. Bis zu jenem Tag, an dem der Krieg eine drastische Wendung nahm. Meine Familie und ich mussten fliehen.
Es war nicht so einfach. Wir mussten einige Opfer bringen. Beim Fliehen erwischte es meinen Vater. Denn er wurde erschossen, er starb sofort. Ich konnte es nicht fassen, dass es meinen Vater erwischt hatte. Doch um den Rest meiner Familie zu schützen, musste ich in die Rolle meines Vaters schlüpfen. Denn ich war der einzige Junge in der Familie. Ich nahm meine Geschwister an die Hand und wollte los. Doch da bemerkte ich, dass es meiner Oma sehr schlecht ging. Sie hatte keine Kraft mehr. Ich nahm sie auf meinen Rücken und sagte meiner Familie, dass wir los müssten. Wir machten uns auf den Weg.
Wir waren schon seit einigen Tagen auf dem Weg in die Türkei. In der Hoffnung, dass es uns dort besser gehen wird. Doch der Zustand meiner Oma wurde sehr kritisch. Am nächsten Tag war es leider Zeit, sich von ihr zu verabschieden. Denn sie starb.
Nach acht Tagen war es so weit. Wir waren an der türkisch-syrischen Grenze. Trotz der Trauer um unsere Opfer, die wir bringen mussten, waren wir froh, dass wir in das Flüchtlingslager aufgenommen wurden.
Nun leben wir schon seit zwei Jahren in der Türkei. Ich denke immer wieder an die Zeit vor dem Krieg, in der alles besser war.
An die Zeit, wo ich mit meinen Freunden im Dorf spielen konnte und noch glücklich war.
Ich habe Hoffnung, dass der Krieg irgendwann enden wird.
Ich habe Hoffnung, dass ich zurück in mein Dorf kann.
Ich habe Hoffnung, dass es wieder Frieden geben wird.

Talha Ünal (17 Jahre)


Ich schaffe das
Ich gehe die Straße entlang. Es duftet nach Morgen. Die Stadt stinkt. Es riecht nach Metall, Abfall und Teer. Doch irgendwie auch nach Morgen. Ich muss schnell laufen. Ich weiß gar nicht, wohin ich laufe. Ich laufe, um die Gedanken im Kopf zu behalten. Vielleicht laufe ich auch zum Meer. Laufen kann man dahin nicht. Man muss fliegen oder mit dem Auto fahren. Aber ich schaff das. Ich laufe immer schneller. Angst habe ich nicht.
Plötzlich bleibe ich jedoch stehen. Wenn ich wiederkomme, bin ich jemand anderes. Vielleicht werde ich auch niemals wiederkommen. Da ist dieses Gefühl. Es ist anders. Ich spüre es in meiner Kehle und in meinem Bauch. Schlecht ist es nicht. Nein, es ist gut. Je schneller ich laufe, umso mehr kann ich es spüren. Es ist Wärme in mir.
Langsam wird es hell und in mir staut sich diese Hitze. Ich brauche nicht mehr zurückzugucken. Jetzt wird alles anders. Immer nur laufen, laufen, laufen und laufen und Hoffnung in mir.

Katharina Prinz (19 Jahre)


Quelle:
Artur Nickel (Hg.)
Was mir Hoffnung macht. Kinder und Jugendliche aus dem Ruhrgebiet erzählen
Vorwort von Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen
Geest-Verlag, Vechta 2015, 12 Euro
ISBN 978-3-86685-541-0

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Dr. Artur Nickel
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