Bericht

Brasilien – Ein Land voller Stimmen

08.10.2013

Leseförderung im Ehrengastland der 65. Frankfurter Buchmesse




Straßenlesefest in São Paulo
Straßenlesefest in São Paulo
© Instituto Brasil Leitor
Unter dem Motto „Brasilien – Ein Land voller Stimmen“ präsentiert der Ehrengast der 65. Frankfurter Buchmesse vom 9. bis 13. Oktober ein vielseitiges literarisches und kulturelles Programm. Zwei der wichtigsten Stimmen der zeitgenössischen brasilianischen Literatur, Ana Maria Machado und Luiz Ruffato, lesen bei der Eröffnungsfeier der Buchmesse am 8. Oktober. Insgesamt werden 92 brasilianische Autorinnen und Autoren aus nahezu jedem literarischen Genre  ihre Werke sowohl auf dem Messegelände als auch bei Lesungen im Literaturhaus, in der Zentralbibliothek oder in der Romanfabrik vorstellen. Eine Ausstellung im Forum der Messe (Ebene 1) zeigt die soziokulturelle Vielfalt Brasiliens anhand wichtiger Momente der brasilianischen Kunst und Kultur.

Zur Einstimmung auf den Ehrengast stellen wir im Folgenden ausgewählte brasiliansche Institutionen, Programme und Projekte vor, deren Ziel die Förderung des Lesens ist.

Instituto Brasil Leitor (IBL)
Das brasilianische Lese-Institut „Instituto Brasil Leitor (IBL)“ entwickelt in Zusammenarbeit mit staatlichen, privaten und internationalen Institutionen, wirtschaftlichen Unternehmen und allen Arten von Bildungseinrichtungen Projekte für alle Altersgruppen und sozialen Schichten, besonders aber für Kinder, Jugendliche und Familien aus sozial benachteiligten Verhältnissen. Ziel aller Aktivitäten des Instituts ist es, das Lesen und die Nutzung verschiedener Lesemedien als Selbstverständlichkeit im Alltag zu etablieren und zu fördern. Der Umgang mit neuen Medien steht dabei besonders im Fokus, um zu verhindern, dass der Ausschluss bestimmter Bevölkerungsschichten von der Nutzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien zu einer Spaltung der Gesellschaft führt. Die Projekte des IBL umfassen ein Spektrum von frühkindlicher Leseförderung über die Einrichtung verschiedener Bibliotheken bis hin zu ganzheitlicher kultureller Bildung. Die einzelnen Angebote werden auf der Internetseite des Institutes näher beschrieben. Geographisch liegt der Schwerpunkt der Initiativen des IBL in São Paulo, er hat sich aber bereits auf weitere Regionen nahezu des gesamten Südens ausgedehnt. Die landesweite Ausweitung verschiedener Projekte ist ein Ziel des IBL. Eine Karte gibt einen Überblick über die Standorte des IBL.
Weitere Informationen: www.brasilleitor.org.br/www/OndeAtuamos.aspx

Ler é Saber
Das Projekt „Ler é Saber“ (Lesen ist Wissen) repräsentiert die zentralen Ziele des brasilianischen Leseinstituts „Instituto Brasil Leitor (IBL)“: freien Zugang zu Literatur und Bildung für jeden zu ermöglichen – unabhängig von den jeweiligen sozialen Verhältnissen und persönlichen Fähigkeiten, das Lesen in das Alltagsleben zu integrieren sowie Lesekompetenz und Lesefreude als Basis für individuelle Selbstständigkeit und kulturelle Teilhabe zu fördern. Um diese Ziele zu erreichen, engagiert sich das IBL besonders für die Einrichtung öffentlicher Stadt- und Gemeindebibliotheken sowie für die Einrichtung von Bibliotheken speziell für Kleinkinder. Letztere basieren auf pädagogischen Konzepten, die auf die Bedürfnisse von Kindern zugeschnitten sind, um ihnen einen guten „Lesestart“ zu ermöglichen. Das Erkunden der Bücherwelt und das Lesenlernen stehen dabei immer in Verbindung mit der Förderung kindlicher Neugierde. Die Kinder werden in den Bibliotheken von ausgebildetem Personal betreut.
Weitere Informationen: www.leresaber.org.br

Perca um Livro
„Perca um Livro“ (Verlier ein Buch) ist eine Aktion des „Instituto Brasil Leitor (IBL)“, des brasilianischen Leseinstituts, die anlässlich seines 10-jährigen Jubiläums initiiert wurde. An öffentlichen Orten wie Krankenhäusern, Schulen, Einkaufsläden sowie an Bus- und Bahnstationen hat das IBL Bibliotheken eingerichtet, in denen kostenlos Bücher ausgeliehen werden können. Einige Bücher sind mit einem Code gekennzeichnet. Findet ein Leser ein solches Buch kann er den Code auf der Internetseite des IBL eingeben, um mehr über das Projekt zu erfahren und um herauszufinden, an welchen Stationen das Buch bereits gewesen ist. „Perca um Livro“ soll die Menschen dazu motivieren, sich auch an Orten des öffentlichen Lebens „in Büchern zu verlieren“. Mit der Möglichkeit, die Reise der Bücher durch São Paulo nachverfolgen zu können und die Inhalte mit anderen teilen zu können, werden sie zu einem Bestandteil der Gemeinschaft und tragen dazu bei, die Menschen miteinander zu verbinden.
Weitere Informationen: www.brasilleitor.org.br/www/PercaUmLivro.aspx

Bibliotecas Estações e Terminais
Die Idee, an Metro- und Bahnstationen öffentliche Bibliotheken einzurichten, wurde vom „Instituto Brasil Leitor (IBL)“ zunächst in São Paulo in Zusammenarbeit mit der Metrogesellschaft und mit Unterstützung des „Ministério da Cultura“ (Ministerium für Kultur) umgesetzt. Die Initiative erfreute sich großer Beliebtheit und weitere Städte und Bundesstaaten (Pernambuco, Rio de Janeiro, Rio Grande do Sul, Minas Gerais) sowie deren Verkehrsgesellschaften adaptierten das Konzept für ihre Region. Die Stations- oder Haltestellen-Bibliotheken entstehen überall in Zusammenarbeit zwischen dem IBL, den jeweiligen Metro- oder Bahngesellschaften, dem Ministerium für Kultur und verschiedenen wirtschaftlichen Unternehmen sowie kulturellen Einrichtungen. An allen Werktagen können zu den Öffnungszeiten Bücher aus einer Auswahl von jeweils 2000 bis 3000 Titeln für eine Frist von zehn Tagen ausgeliehen werden. Es gibt keine spezifische Zielgruppe, aber die Möglichkeit, unkompliziert und kostenfrei Bücher auszuleihen, kommt vor allem Menschen zugute, die sozial benachteiligt sind. Entsprechend der Philosophie des IBL sollen die „Bibliotecas Estações e Terminais“ allen Menschen – unabhängig von ihrem sozialen Status – die kulturelle und literarische Teilhabe ermöglichen.
Weitere Informationen: www.brasilleitor.org.br/www/biblioteca_metro.aspx

Brincalendo
„Brincalendo“ ist ein Straßenlesefest, das das Lesen zu einem gesellschaftlichen Ereignis macht. Auf Initiative des „Instituto Brasil Leitor (IBL)“, findet das Fest zu bestimmten Terminen in der „Rua Lopes Chaves, Barra Funda“, der Straße des IBL-Hauptsitzes im Bezirk Barra Funda in São Paulo, statt. Mit einer Reihe von Aktionen zu Literatur, Kunst und Malerei werden Bücher „auf die Straßen“ bzw. unter die Leute gebracht. Anwohner, Kinder und ihre Familien können gemeinsam die Welt der Bücher entdecken. Das erste „Brincalendo“ fand im Jahr 2010 statt. Seither wird es regelmäßig veranstaltet.
Weitere Informationen: www.brasilleitor.org.br/www/projeto_brincalendo.aspx

Prazer em Ler
Das Projekt „Prazer em Ler“ (Freude am Lesen) wurde im Februar 2006 vom Instituto C&A ins Leben gerufen, um bereits bestehenden landesweit stattfindenden Leseförderprogrammen ein klar definiertes Ziel zu geben. Das Projekt soll auf die Bedeutung des Lesens als soziale, kulturelle und individuelle Fähigkeit hinweisen, wobei der Name, „Freude am Lesen“ zu vermitteln, Programm ist. Mit verschiedenen Partnerinstitutionen (Schulen, Bibliotheken und anderen Einrichtungen) werden vor Ort neue Konzepte entwickelt oder bereits bestehende Projekte weiterentwickelt, indem die Leseorte verbessert, Materialbestände organisiert sowie Aus- und Weiterbildungen von Multiplikatoren angeboten werden. Weiterhin werden im Rahmen von „Prazer em Ler“ Seminare, Wettbewerbe und Prämierungen rund um das Thema Lesen und die Nutzung unterschiedlicher Medien initiiert, Materialien über das Lesen publiziert und verbreitet. Die einzelnen Projekte sind nach Bundesstaaten sortiert auf der Website von „Prazer em Ler“ aufgelistet.
Weitere Informationen: www.institutocea.org.br

Fundação Nacional do Livro Infantil e Juvenil (FNLIJ)
Die gemeinnützige „Fundação Nacional do Livro Infantil e Juvenil (FNLIJ)“ (Nationale Stiftung der Kinder- und Jugendbücher) wurde am 23. Mai 1968 vom „International Board on Books für Young People (IBBY)“ gegründet. Ihr Sitz ist in Rio de Janeiro. Finanziert wird die FNLIJ über Beiträge privater Personen und Institutionen, darunter hauptsächlich Verlage mit einem Fokus auf Kinder- und Jugendliteratur. Die Stiftung hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Lesen und die Publikation pädagogisch wertvoller Kinder- und Jugendbücher zu fördern sowie allen den Zugang zu Lektüre zu ermöglichen. Darüber hinaus wird die Aus- und Weiterbildung von Personen mit Erziehungsfunktionen (Lehrer, Bibliothekare, Eltern, usw.) unterstützt und die Einrichtung von Schulbibliotheken und öffentlichen Bibliotheken gefördert.
Weitere Informationen: www.fnlij.org.br

Bibliotecas Comunitárias Ler é Preciso
Die Einrichtung von Gemeindebibliotheken in abgelegenen Gebieten und Orten mit gering entwickelter Infrastruktur ist das Ziel dieses Projekts, das im Jahr 1999 vom „Instituto Ecofuturo“ (Institut Öko-Zukunft) entwickelt wurde und seit 2001 gemeinsam mit der „Fundação Nacional do Livro Infantil e Juvenil (FNLIJ)“ (Nationale Stiftung für Kinder- und Jugendbücher) umgesetzt wird. Die Entscheidung, in welcher Gemeinde eine neue Bibliothek eingerichtet wird, obliegt dem „Instituto Ecofuturo“. Es stellt die Kontakte zu den regionalen Behörden sowie zu den Anwohnern des jeweiligen Ortes her und betreut die Errichtung der Bibliotheken. Die FNLIJ unterstützt die Durchführung des Projekts mit einer soziographischen Analyse der Stadtviertel und bietet einen Kurs zur Ausbildung von Bibliotheksmitarbeitern und Multiplikatoren der Leseförderung an. Dieser Kurs, für etwa 30 Teilnehmer konzipiert, umfasst zwei Module mit je 32 Unterrichtseinheiten. Vier Monate nach der Eröffnung besuchen Mitglieder der FNLIJ die Bibliothek, um zu sehen, wie die Kursteilnehmer mit der Bibliotheksarbeit zurechtkommen. Den Bibliotheksbestand, der hauptsächlich Belletristik und Sachbücher umfasst, wählt zu 70 Prozent die FNLIJ aus. Die restlichen 30 Prozent beruhen auf den Wünschen der Anwohner.
Weitere Informationen: www.ecofuturo.org.br/ler-e-preciso

Casa da Leitura
Das „Casa da Leitura“ (Haus der Lektüre) ist seit 1992 der Hauptsitz des landesweiten Leseförderprogramms PROLER. Das Haus beherbergt eine Bibliothek für Kleinkinder und eine für Jugendliche und Erwachsene. Beide sind öffentlich und sollen besonders Schüler staatlicher Schulen ansprechen. [Anm.: In Brasilien besteht eine starke Diskrepanz zwischen den Bildungsangeboten staatlicher, öffentlicher Schulen und den Bildungsangeboten privater Schulen. Daher die Betonung auf Schüler staatlicher Schulen.] Neben der alltäglichen Bibliotheksarbeit, die Kindern und Jugendlichen den freien Zugang zu Lektüre gewährleistet, gibt es regelmäßig Veranstaltungen und Lesungen, die zum Lesen motivieren und das  Interesse für kulturelle Themen anregen sollen. Des Weiteren werden für Lehrkräfte, Bibliothekarinnen und Bibliothekare sowie für alle, die sich für die Leseförderung einsetzen wollen, Seminare angeboten. Interessierte können sich zu „Lese-Mediatoren“ ausbilden lassen und dann auf individueller oder kommunaler Ebene für das Lesen werben. Das „Haus der Lektüre“ hat sich zudem als Ort der Begegnung von Politik und Pädagogik etabliert und forciert in diesem Sinne die Zusammenarbeit mit politischen und pädagogischen Institutionen sowohl auf Landesebene als auch in den Gemeinden.
Weitere Informationen: www.bn.br/proler/faleconosco.htm

PROLER – Programma Nacional de Incentivo à Leitura
Seit 1992 veranstalten die „Fundação Biblioteca Nacional (FBN)“ (Nationale Bibliotheksstiftung) und das „Ministério da Cultura - MinC“ (Ministerium für Kultur) gemeinsam das landesweite Programm PROLER. Als Bindeglied zwischen Staat und Gesellschaft vermittelt PROLER zwischen politischen Institutionen und nicht-staatlichen Initiativen und vernetzt Akteure, Projekte und Maßnahmen miteinander, die die Förderung von Lese- und Schreibkompetenz und die Demokratisierung des freien Zugangs zu Literatur zum Ziel haben. PROLER wird auf zwei Ebenen umgesetzt: Es gibt zentrale Aktionen im Hauptsitz „Casa da Leitura“ (Haus der Lektüre) in Rio de Janeiro und dezentrale Aktionen in landesweit 500 Gemeinden, die von autonomen Komitees geleitet werden und mit einer lokalen Institution oder Organisation zusammenarbeiten. Die insgesamt 70 Komitees orientieren sich in ihrer Arbeit zwar an Richtlinien von PROLER, entwickeln ihre Aktionen jedoch entsprechend den jeweiligen lokalen Verhältnissen. Als nationales Programm, das lokal agiert, gibt PROLER keine festen Modelle der Leseförderung vor, sondern stellt eine Struktur zur Verfügung, die es ermöglichen soll, auf die jeweiligen Situationen und Bedürfnisse vor Ort einzugehen. Inhaltliche Schwerpunkte des Programms sind die Leseförderung in und mit – hauptsächlich öffentlichen – Schulen und die Zusammenarbeit von Schulen und Bibliotheken. Weiterhin bemüht sich PROLER um die kontinuierliche Aus- und Weiterbildung von Multiplikatoren wie Lehrern, Bibliothekaren und Lese-Agenten öffentlicher Netzwerke. Ihnen werden zahlreiche Methoden vermittelt, wie Kindern und Jugendlichen die Welt der Bücher nähergebracht und die Lesepraxis im Schulalltag verbessert werden kann.
Weitere Informationen: www.bn.br/proler/index.htm

Instituto Pró-Livro (IPL)
Als Reaktion auf die Ergebnisse einer Studie, die der Bevölkerung eine geringe Lesekompetenz bescheinigte, und in Sorge um die Entwicklung der Lesegewohnheiten insbesondere der Jugend wurde im Oktober 2006 das „Instituto Pró-Livro (IPL)“ (Institut Pro-Buch) gegründet. Finanziert wird das IPL hauptsächlich durch Beiträge von Verlagen. Es initiiert Projekte, die die Entwicklung des Lesens und die Verbreitung von Büchern, hauptsächlich bei Kindern und Jugendlichen, fördern sollen. Deshalb werden auch die Verantwortlichen im Bereich der Erziehung und Leseförderung angesprochen: Erzieher, Eltern, Bibliothekare und Literaturvermittler. Seit seiner Gründung kooperiert das IPL mit dem „Plano Nacional do Livro e Leitura – PNLL“ (Nationaler Plan für Buch und Lektüre), dem „Ministério da Cultura – MinC“ (Kulturministerium) und dem „Ministério da Educação – MEC“ (Bildungsministerium). Im Rahmen dieser Zusammenarbeit wurde 2009 das landesweite Projekt „O Livro e a Leitura nos Estados e Municípios“ (Das Buch und die Lektüre in den Bundesländern und Gemeinden) initiiert, das Bezirke und Gemeinden bei der Durchführung von Veranstaltungen und Strategien zur Leseförderung unterstützt.
Weitere Informationen: www.prolivro.org.br

Salão do Livro para Crianças e Jovens
Die „Fundação Nacional do Livro Infantil e Juvenil (FNLIJ)“ (Nationale Stiftung für Kinder- und Jugendbücher) organisiert seit 1999 jährlich einen zweiwöchigen „Salão do Livro para Crianças e Jovens“ (Buchsalon für Kinder und Jugendliche). Zehn Jahre lang war das „Museu de Arte Moderno – MAM“ (Museum für Moderne Kunst) in Rio de Janeiro Veranstaltungsort, seit 2010 findet der Salon im „Centro Cultural da Ação e da Cidadania“ (Kulturzentrum für bürgerschaftliches Engagement) im Hafengebiet von Rio de Janeiro statt. Mit zahlreichen Veranstaltungen und Aktionen soll die Lesefreude und die Begeisterung für Bücher bei jungen Leserinnen und Lesern geweckt werden. Etwa 30.000 Kinder und Jugendliche besuchen den Buchsalon jedes Jahr. Lehrer/-innen und Erzieher/-innen erhalten die Möglichkeit, Erfahrungen auszutauschen und sich fortzubilden. Neben der Leseförderung bemüht sich die FNLIJ um interkulturellen Austausch und gegenseitiges Kennenlernen. Daher wird zu jedem Buchsalon ein Gastland eingeladen.
Weitere Informationen: www.fnlij.org.br/principal.asp?cod_mat=33&cod_menu=400

Autorin: Christine Schuster
Quelle: www.bildungsserver.de/Lesefoerderung-in-Brasilien-9890.html
Redaktionskontakt: schuster@dipf.de