
Evaluation des Sprachförderprojekts MITsprache |
10.07.2013 |
Mehr Chancengleichheit durch die Förderung des Zweitspracherwerbs
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Sprachförderung an der Heinrich-Seidel-Grundschule in Berlin, © Stiftung Fairchance |
Um diesem Problem zu begegnen, hat die Stiftung Fairchance das Projekt MITsprache ins Leben gerufen. Dieses hat zum Ziel, die Sprachkompetenz von Kindern aus sozial benachteiligten Familien und Kindern mit Migrationshintergrund zu fördern und damit einen Beitrag zu mehr Chancengleichheit zu leisten. Das Projekt wird seit dem Schuljahr 2011/12 an fünf Grundschulen im Berliner Stadtteil Gesundbrunnen pilotiert, in dem etwa 90 % der Grundschüler eine nichtdeutsche Erstsprache haben (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft, 2013) und über zwei Drittel der Kinder und Jugendlichen in Arbeitslosengeld II-Haushalten leben (Bezirksamt Mitte von Berlin, 2013). Im Februar 2013 wurde das Sprachförderprojekt MITsprache im Wettbewerb „Ideen für die Bildungsrepublik“ als herausragende Bildungsidee ausgezeichnet. Der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Wettbewerb zeichnet beispielhafte Projekte aus, die sich in besonderer Weise für Bildungsgerechtigkeit für Kinder und
Jugendliche einsetzen. Ab dem Schuljahr 2013/14 werden zusätzlich im Umfeld der Schulen liegende Kindertagesstätten in das Projekt mit aufgenommen, um eine mehrjährige und durchgängige Sprachförderung zu erreichen.
Die wissenschaftliche Begleitung und Evaluation des Projekts wird von der Ludwig-Maximilians-Universität München durchgeführt und verfolgt eine doppelte Zielsetzung. Zunächst soll die Implementierung des Projekts begleitet werden, um im Prozess die Umsetzung zu optimieren (formatives Ziel). Im nächsten Schritt soll analysiert werden, wie das Projekt vor allem auf den Spracherwerb, aber auch darüber hinaus auf Kinder, Eltern sowie Förderkräfte und die jeweilige Bildungseinrichtung wirkt (summatives Ziel).
Die Basis des Projekts bildet die Kooperation zwischen den beteiligten Bildungseinrichtungen (Grundschulen und Kitas), der Stiftung Fairchance sowie dem Sprachförderzentrum Berlin-Mitte. Die zentralen Bausteine des Projekts sind:
- Sprachförderung innerhalb der Bildungseinrichtungen durch Lehrer/-innen und Erzieher/-innen
- Qualifizierung der Lehrer/-innen und Erzieher/-innen zu Sprachförderkräften
- Elternarbeit durch Sozialpädagogen
Ziel der Sprachförderung ist es, neben Fähigkeiten im Bereich Wortschatz und Grammatik ebenso die Herausbildung der Erzählfähigkeit zu fördern. Die Grundlage dafür bildet das strukturierte Programm „Deutsch für den Schulstart“ (DfdS), das vom Institut für Deutsch als Fremdsprachenphilologie der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg entwickelt wurde (Klages & Kaltenbacher, 2010). Das Material gibt eine altersgerechte Rahmenhandlung mit Handpuppen als Akteure vor. Gleichzeitig beinhaltet es eine Progression in den entsprechenden sprachlichen Bereichen. Um das Programm der Zielgruppe und den Rahmenbedingungen anzupassen, wurde für das Berliner Sprachförderprojekt MITsprache zusätzliches Material entwickelt und ergänzt.
Die Didaktik der Sprachförderung folgt folgenden Prinzipien, die den Zweitspracherwerb ähnlich dem natürlichen Erstspracherwerb ermöglichen soll:
- Authentische Kommunikationssituationen schaffen
- Klare Sprachmodelle vorgeben
- Wenige unterschiedliche Strukturen anbieten
- Ausreichend Wiederholungen ermöglichen
- Kurze Reime und regelmäßige Rhythmen anbieten
- Implizites Lernen ermöglichen
Die Sprachförderung beginnt derzeit mit dem ersten Schulbesuchsjahr und wird über zwei Jahre additiv zum Unterricht fortgeführt. Sie findet viermal pro Woche für die schwächsten Schüler eines Jahrgangs in Kleingruppen von maximal sechs Kindern statt. Darüber hinaus werden auch außerschulische Aktivitäten für die Kleingruppen angeboten, um die Inhalte der Sprachförderung, die die Rahmenhandlung vorgibt, auch zu erleben, wie zum Beispiel einen Besuch im Zoo.
Um den Sprachstand der Kinder festzustellen und die Sprachförderung daran anzupassen, wird die Förderdiagnostik des Programms „Deutsch für den Schulstart“ in regelmäßigen Abständen eingesetzt. Diese ist auf die Förderziele abgestimmt und erfasst mithilfe eines standardisierten Elizitationsverfahrens neben Fähigkeiten im Bereich Wortschatz und Grammatik auch die Erzählfähigkeit.
Qualifizierung der Förderkräfte
Neben der Durchführung der Sprachförderung ist die Qualifizierung der Förderkräfte ein elementarer Bestandteil des Projekts. Die Förderkräfte sind Lehrer/-innen und Erzieher/-innen der beteiligten Bildungseinrichtungen und haben bereits Erfahrung mit Deutsch als Zweitsprache. Die Qualifizierung zur Sprachförderkraft erfolgt zunächst in Form einer grundlegenden Fortbildung, in der relevante theoretische Grundlagen des Zweitspracherwerbs sowie die Materialien, die Didaktik und die Diagnostik der Sprachförderung vermittelt und trainiert werden. Daran anschließend finden regelmäßig Projekttreffen statt, bei denen vertieft einzelne fachliche Themen zur kontinuierlichen Weiterqualifizierung angeboten werden. Darüber hinaus haben die Förderkräfte bei den Treffen die Möglichkeit, sich über Erfahrungen, Erfolge und Herausforderungen der Sprachförderung auszutauschen. Als drittes Qualifizierungselement ist ein individuelles Coaching der Förderkräfte geplant, das Hospitationen bei einzelnen Fördereinheiten und anschließendes Feedback durch die Projektleitung beinhaltet.
Elternarbeit
Der dritte wichtige Baustein des Projekts ist die Elternarbeit. Sie hat zum Ziel, auch innerhalb der Familie sprachförderliche Rahmenbedingungen für die Kinder zu schaffen und wird durch einen projekteigenen Sozialpädagogen realisiert. In regelmäßigen Elterntreffs werden die Eltern zum einen über die Sprachförderung ihrer Kinder informiert und zum anderen über den Umgang mit Sprache und Fördermöglichkeiten innerhalb der Familie aufgeklärt. Um mit möglichst allen Eltern in Kontakt zu kommen, werden zusätzlich Hausbesuche und individuelle Beratungsgespräche durchgeführt.
Wissenschaftliche Begleitung und Evaluation
Die wissenschaftliche Begleitung und Evaluation, die von der Arbeitsgruppe Prof. Mandl im Bereich Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München durchgeführt wird, berät, verbessert und überprüft das Projekt und verfolgt damit formative und summative Ziele.
Das formative Ziel, die Optimierung der Umsetzung, bezieht sich auf drei Ebenen:
- Organisationale Ebene: Unter welchen Rahmenbedingungen findet die Sprachförderung statt?
- Inhaltliche Ebene: Welche Inhalte werden umgesetzt?
- Didaktische Ebene: Wie werden die Inhalte didaktisch umgesetzt?
Das summative Ziel, die Analyse der Wirkungen des Projekts, bezieht sich auch auf verschiedene Zielgruppen:
- Wirkungen auf die Kinder (sprachliche, kognitive und soziale Entwicklung)
- Wirkungen auf die Eltern
- Wirkungen auf Förderkräfte und Bildungseinrichtungen
Zusätzlich wird die Wirkung der Elternarbeit mithilfe einer schriftlichen Befragung der Eltern erfasst, indem gefragt wird, wie sich der Kontakt zum Sozialpädagogen gestaltet, inwieweit hilfreiche Informationen zu relevanten Themen gegeben werden und inwieweit dies zu einer Veränderung führt.
Als dritte Zielgruppe werden die Förderkräfte in Interviews befragt, inwiefern die Implementierung und Umsetzung des Projekts auf die Förderkräfte selbst, und die Bildungseinrichtung allgemein wirkt.
Ausblick:
Das Projekt hat in den vergangen zwei Jahren bereits etwa 100 Kindern eine Sprachförderung ermöglicht. Ergebnisse der formativen und summativen Evaluation werden nach Abschluss des zweiten Projektjahres ausgewertet und veröffentlicht. Im August 2013 beginnt das dritte Projektjahr, in dem wieder neue Sprachfördergruppen mit Schulanfängern an den beteiligten Grundschulen starten. Zusätzlich wird das Projekt auf Kindertagesstätten ausgedehnt, die im Umfeld der Schulen liegen. So kann die kontinuierliche Sprachförderung auf drei Jahre erweitert werden, indem die Sprachförderung für die Kinder bereits im letzten Kitajahr beginnt und in den ersten beiden Schulbesuchsjahren weitergeführt wird.
Autorin: Raphaela Schätz
Literatur:
Bezirksamt Mitte von Berlin (2013). Basisdaten zur Bevölkerung und sozialen Lage im Bezirk Berlin-Mitte. Retrieved from www.berlin.de/imperia/md/content/bamitte/publikationen/ges/gbe_basisdaten_mitte_2013a.pdf
Hofmann, N., Polotzek, S., Roos, J., & Schöler, H. (2008). Sprachförderung im Vorschulalter - Evaluation dreier Sprachförderkonzepte. Diskurs Kindheits- und Jugendforschung, (3), 291–300.
Klages, H. & Kaltenbacher, E. (2010). Deutsch für den Schulstart. Fördermaterialien für Vorschulkinder und Schulanfänger mit Deutsch als Erst- oder Zweitsprache. Universität Heidelberg.
Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft Berlin (2013). Berliner Schulen. Retrieved from www.berlin.de/sen/bildung/schulverzeichnis_und_portraets/anwendung/
Kontakt:
Raphaela Schätz
Ludwig-Maximilians-Universität München
Department Psychologie
Leopoldstr. 13
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Tel.: (089) 2180-71390
E-Mail: raphaela.schaetz@psy.lmu.de
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